Im Zweifel suedwaerts
reichte, nein, sie wollte außerdem auch noch Aufmerksamkeit. Felix war ein Spacken, das stand gar nicht zur Diskussion. Aber es war etwas Wahres an dem gewesen, was er gesagt hatte: Richard hatte zwar keine andere gehabt, aber er hatte mir das Gefühl gegeben, verlassen zu sein. Er war also nicht unschuldig. So wenig wie ich. »Wir haben beide Mist gebaut.«
Er drehte mir den Kopf zu und sah mich lange einfach nur an. Es lag nicht nur an den schlechten Lichtverhältnissen, dass ich von seinem Gesicht nicht ablesen konnte, was in ihm vorging. Es lag auch daran, dass er es mir nicht zeigen wollte. »Dann sag doch mal, Daphne: Mit wem habe ich dich denn betrogen?«
»Mit dir selbst«, sagte ich. Und dann sagte ich nichts mehr und ließ nur noch die Welle der Klarheit über mich waschen, auf die ich so lange gewartet hatte. Sie hatte nichts von der Erleichterung, die ich mir gewünscht hatte.
Richard antwortete lange nicht. Er richtete sich bloß auf und saß schweigend neben mir am Strand. »Was ist mit Lucy und Hannes?«, fragte er irgendwann, aber das war nicht der Moment für einen Themenwechsel und ein Gespräch über die Belange unserer Freunde. Das war in der letzten Zeit zwar unsere Ablenkungsstrategie gewesen, aber damit war jetzt Schluss. Jetzt ging es um uns. Also zuckte ich lediglich mit den Schultern und blieb still. Er atmete aus, und es klang final. »Ich will nicht hierbleiben.«
»Am Strand?«
»In Portugal. Ich flieg morgen wieder zurück.«
Ich nickte. »Ich komm mit.« Diese Entscheidung hatte nichts damit zu tun, dass ich jetzt bei Richard sein wollte. Was ihn betraf, fühlte ich mich im Augenblick in erster Linie taub und müde. Aber der Urlaub war für mich an diesem Abend zu Ende gegangen.
Ich weiß nicht, wie lange wir noch nebeneinander dasaßen und ob es ein gutes Zeichen war, dass wir zusammenblieben, obwohl wir uns nichts zu sagen hatten. Irgendwann wurde uns kalt, und wir standen wortlos auf. Und das war es dann.
Nach einer kurzen Nacht, die ich in Skys Bus verbracht hatte und Richard auf einem Klappstuhl davor, weil er nachdenken musste, wachte ich im Morgengrauen auf und stellte fest, dass Betty nicht von der Party zurückgekommen war. Das überraschte mich nicht. Wahrscheinlich saß sie mit ein paar neuen Freunden am Strand. Oder sie hatte doch noch ihren heißen Boy gefunden. Irgendwie machte mich der Gedanke froh, dass ich diesen Urlaub mit Betty unternommen hatte, die ich jetzt schon seit mehr als zehn Jahren kannte, trotz ihrer durch Max komplett veränderten Lebensumstände und trotz der Verantwortung für ihn, die sie sehr ernst nahm. Diese Betty war wild und frei und abenteuerlustig. Das war beruhigend und irgendwie auch tröstend. Etwas, auf das ich mich verlassen konnte, wenn mir sonst schon alle Felle davonschwammen.
Ich begann, meine Sachen zusammenzusammeln und so sinnvoll wie möglich in dem Koffer zu verstauen. Sollte ich etwas vergessen, würde es mir mit Betty und dem reparierten Bus ein paar Tage später nach Hamburg folgen, weswegen ich beschloss, nicht jeden Winkel abzusuchen, in dem sich vielleicht noch ein Bikini-Oberteil versteckt haben könnte. Dort, wo ich jetzt hinging, brauchte ich sowieso keinen Bikini. Nur starke Nerven.
Ich zog die Schiebetür des Busses ein letztes Mal mit einem Ruck auf und fand mich allein auf dem Hof der Werkstatt. Der Wind scheuchte raschelnd ein paar Blätter über den Boden, abgesehen davon war die Welt still. Richard saß nicht mehr auf dem Stuhl vor dem Bus, und der Himmel war wolkenverhangen. Das erstaunte mich, andererseits musste es natürlich auch in Portugal mal schlechtes Wetter geben. Kein Ort war nur sonnig. Kein Ort, kein Mensch, kein Leben und auch keine Liebe. Ich zog die Tür hinter mir zu, schob den Koffer unter den Bus und überquerte den sandigen Platz, verließ ihn durch die Toreinfahrt und spazierte die Mauer entlang zu Marcos Van. Davor saßen er, Ramon und Richard und tranken Kaffee. Drei Männer, drei Frauen. In einer anderen Welt hätte das die Grundlage für einen Eins-A-Pärchenurlaub bilden können. Aber unsere Geschichte war der beste Beweis dafür, dass das Leben gar nicht daran dachte, sich den Regeln der Mathematik zu unterwerfen. Was für mich keinen Unterschied machte. Da ich ein absoluter Idiot war, wenn es um Zahlen ging, wäre ich ganz sicher auch dann komplett verwirrt vom Leben, wenn man es mit simplen Formeln berechnen könnte. Ich würde genauso versagen wie jetzt.
Marco sah mich zuerst
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