Im Zwielicht der Gefühle (German Edition)
hatten eine stürmische Seefahrt hinter sich und waren aufs Übelste ausgenommen worden, als sie in den Dörfern Proviant gekauft hatten. Doch dem nicht genug. Nach der glühenden Hitze der Wüste klagten seine Männer nun ständig wegen der beißenden Kälte - und Klagen war etwas, was Ranulf auf den Tod nicht ausstehen konnte.
Sein Hengst tänzelte nervös zur Seite.
„Irgendetwas ist hier seltsam“, flüsterte Kasim nachdenklich. „Ist dir aufgefallen, dass sich keiner der Bogenschützen bewegt? Sie stehen da wie Statuen.“
Es war Ranulf aufgefallen.
„Von mir aus können sie dort stehen, bis sie Wurzeln schlagen. Ich bin nur hier, um dem Jungen Lamont die Nachricht, das Gold und den Proviant zu bringen. Spätestens in zwei Tagen sind wir wieder fort.“ „Falls sie uns überhaupt einlassen.“
„Wenn nicht, auch gut. Dann stellen wir ihnen den ganzen Kram vor die Tore und reiten gleich weiter.“
Endlich, unter lautem Kettenrasseln und Quietschen, senkte sich die Zugbrücke, und zwei Reiter in voller Rüstung kamen ihnen entgegen. Einer von ihnen schien nur wenig kleiner gewachsen zu sein als Ranulf selbst. Der andere wirkte beinahe wie ein Zwerg.
Ranulf gab Kasim das Zeichen zu warten und ritt den beiden entgegen. Als sie auf derselben Höhe waren, zügelte er den Hengst und wandte sich an den Riesen. „Seid Ihr Val Lamont?“
Zu seinem Erstaunen antwortete der Kleine. „Das bin ich.“
Valandra benötigte einige Herzschläge, um sich vom Anblick des Fremden zu erholen. Bereits aus der Ferne hatte er beeindruckend ausgesehen, doch aus der Nähe... Nie zuvor war sie einem Mann begegnet, der so ungewöhnlich gut und gleichzeitig gefährlich aussah. Mit stolz erhobenem Haupt saß er auf seinem riesigen schwarzen Streitross und hielt seinen Blick unbeirrt auf sie gerichtet. Dabei wirkte er so bedrohlich wie der Löwe, der sein Banner zierte. Sein dichtes Haar, das sich im kräftigen Nacken leicht wellte, schimmerte im selben Goldton wie das Wappentier. Jeder Zoll seines mächtigen Körpers sprach von Kraft und Autorität. Auch die markanten Gesichtszüge in seinem ernsten, tief gebräunten Gesicht ließen weder Sanftmut noch Freundlichkeit erkennen. Er wirkte so hart und unnahbar wie ein Fels. Nur eine kleine blasse Narbe an seiner Oberlippe machte ihn irgendwie menschlicher. Am außergewöhnlichsten waren jedoch seine Augen. Tiefblau wie die See und mindestens so gefährlich. Sie schienen ein eigenes, unheimliches Feuer zu besitzen.
Owens geräuschvolles Räuspern riss Valandra aus ihren Gedanken, und sie dankte dem Himmel, dass niemand ihr verlegenes Erröten sah. „Ihr habt von einer Nachricht meines Vaters gesprochen?“
Ranulf versuchte, durch die Augenschlitze des Helms den Jungen zu erkennen, doch alles, was er sah, waren smaragdgrüne Augen. Das geschlossene Visier veränderte auch die Stimme, sodass es unmöglich war herauszufinden, wie alt sein Gegenüber wohl sein mochte.
Ranulfs Verstimmung wuchs um ein Vielfaches. Er hasste es, wenn er nicht wusste, mit wem er es zu tun hatte.
„Nun sprecht doch! Ist er wohlauf?“
Ranulf kramte in seiner Satteltasche und nahm Lord Lamonts Brief hervor.
„Euer Vater ist verletzt, aber er lebt.“ Er lenkte sein Streitross näher an Valandras Pferd und überreichte ihr das Pergament. Ungeduldig brach sie das Siegel auf und las.
Mein lieber Sausewind ...
Mein Gott, tat das gut, diesen Kosenamen zu vernehmen. Nur gut, dass sie diesen Helm trug, damit niemand ihre feuchten Augen sehen konnte.
Deine Nachricht hat mich heute erreicht. Vergib mir, dass ich dich so lange allein ließ. Leider ist es mir noch nicht möglich, selbst den Heimweg anzutreten, doch Lord Ranulf de Bretaux kommt an meiner statt. Er kann dir alles erklären.
Er ist der beste Krieger, dem ich je begegnet bin, und ein Mann von Ehre. Lass dir von ihm helfen, bis ich wieder daheim bin. Seine üble Laune soll dich dabei nicht abschrecken.
Er hat versprochen, dir auch einige Lektionen im Schwertkampf zu erteilen.
Gewähre ihm unsere Gastfreundschaft. Du kannst ihm vertrauen.
Gib auf dich Acht, meine Kleine. Ich bin bald wieder daheim.“
Valandra musterte den Fremden und bemühte sich, das verräterische Zittern aus ihrer Stimme zu verbannen.
„Es ist nicht die Handschrift meines Vaters.“ Mit diesen Worten reichte sie das Schreiben an Owen weiter.
„Ein Priester hat es für ihn geschrieben.“
„Ein Priester? Wie schwer ist er verletzt? War er in guter
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