Im Zwielicht der Gefühle (German Edition)
Lamont zurückkehrt.“
Es war kurz nach Mitternacht, als Ranulf in die spärlich beleuchtete Halle zurückkehrte und vorsichtig über die schlafenden Krieger und Dienstboten stieg. Sie hatten ihre Matten auf dem Boden ausgerollt und gaben sich laut schnarchend dem wohlverdienten Schlaf hin.
Ranulf wandte sich zur Treppe, die in die oberen Stockwerke führte, und stieg die Stufen hinauf. Auch er war müde, und es verlangte ihn nach einem weichen Bett und einigen Stunden gnädigem Vergessen.
Während der letzten Stunde hatte er zu ergründen versucht, was er fühlte – nun, da Malven gekommen war. Ein schwieriges Unterfangen für einen Mann, der seit Jahren kaum mehr Gefühle zuließ.
Er hatte die Wahrheit gesprochen, als er Kasim erklärt hatte, dass er sich mit seinem Schicksal abgefunden habe. Wenn man den Tod so viele Jahre vor Augen trug, stellte man keine Erwartungen mehr an das Leben.
Und doch, etwas hatte sich verändert. Es wollte ihm einfach nicht gelingen, seinem Ende mit derselben Gleichgültigkeit entgegenzublicken, wie er es bisher getan hatte. Es war, als ob eine winzige Stimme in seiner Brust um mehr Zeit bäte. Und sei es nur, um...
Ein lautes Poltern unterbrach Ranulfs Gedanken und holte ihn augenblicklich in die Gegenwart zurück. Er befand sich direkt vor Valandras Gemach.
Das Poltern drang aus ihren Räumen. Ein dumpfer Schrei folgte, dann war alles still.
Ranulf gefror das Blut in den Adern. „Malven!“
Ohne zu zögern trat er Valandras Tür ein und stürmte mit gezücktem Schwert in ihr Gemach. Bereit und willens, jeden gnadenlos niederzustrecken, der es wagte, Hand an Valandra zu legen. Sein Pulsschlag raste, während er sich wild im Zimmer umsah.
Es war menschenleer! Valandra war verschwunden. Nur das leise Knistern des Kaminfeuers war zu hören. Kalte Angst schnürte ihm die Luft ab. Hatte Malven sie entführt? Dachte er, sie wüsste über de la Chacre Bescheid? Ranulf spürte, wie ihm übel wurde. Er wusste nur zu gut, welche Foltermethoden seine ehemaligen Ordensbrüder anwendeten, um die Wahrheit aus ihren Opfern herauszuholen.
„Valandra?“
In wilder Hast eilte er in den Nebenraum, in dem Detlef früher sein Nachtlager aufgeschlagen hatte. Doch auch hier war niemand zu sehen. Nirgends war Blut, keine Anzeichen eines Kampfes.
Gerade als Ranulf in die Halle hinunterstürmen wollte, um die ganze Burg in Alarmbereitschaft zu versetzen, entdeckte er zwei kleine nackte Füße, die hinter dem Bett hervorlugten.
„Valandra!“, keuchte er heiser und war mit wenigen Schritten bei ihr. Sein Herzschlag stockte, als er sie bäuchlings ausgestreckt auf dem Boden liegen sah. Er kniete sich neben die reglose Gestalt und fühlte, wie sich ein kalter Klumpen in seiner Magengrube bildete. Malven musste sie just in dem Moment überfallen haben, als sie aus der Wanne gestiegen war, denn sie trug nur einen Plaid, in den sie sich eingewickelt hatte.
Ranulfs Hand zitterte, als er ganz vorsichtig Valandras nasses Haar beiseite schob. Er wagte es kaum, sie zu berühren. Mit angehaltenem Atem legte er ihr zwei Finger an den Hals, um ihren Pulsschlag zu fühlen. „Lass das! Geh weg!“
Ranulf wäre vor Schreck beinahe auf die Hinterbacken gefallen.
„Was, zum Teufel...!“
Valandra hielt die Augen auch weiterhin fest zugekniffen. Oh, sie verfluchte das Schicksal, das sich wieder einmal auf ihre Kosten amüsierte! Weshalb musste Ranulf ausgerechnet jetzt in ihr Gemach stürmen? Sie hatte sich absichtlich mucksmäuschenstill verhalten, in der Hoffnung, er verschwände sogleich wieder. Welch eine Närrin sie doch war. Dieser Kerl ließ niemals eine Möglichkeit aus, um sie zu demütigen. Oh, es war so erniedrigend und ungerecht.
Sie öffnete zögernd ein Auge und blickte geradewegs in Ranulfs fassungsloses Gesicht. Er war so blass, als hätte er soeben ein Gespenst gesehen.
„Du bist ja immer noch da! Verschwinde! Du hast hier nichts zu suchen!“
„Warum, zum Teufel, liegst du wie eine Tote am Boden?“
„Weil es so ungemein bequem ist“, erklärte Valandra ätzend und wünschte sich verzweifelt ein kleines schwarzes Loch, in das sie sich vor Scham verkriechen könnte. „Hättest du jetzt die Güte zu verschwinden?“
„Nein!“ Allmählich kehrte wieder Farbe in Ranulfs Gesicht zurück. „Nicht bevor ich weiß, was hier geschehen ist.“
Ein Blick in seine unerbittlichen Augen sagte ihr, dass er nicht eher weggehen würde, bis er seinen Willen bekommen hatte. Wenn nötig
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