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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Gemahlin?«
    »Kommen Sie nur dorthin, wenn Sie Zeuge eines Mords werden wollen.«
    Erneut fand der Autokrat Quaisoirs Gemächer leer vor, aber Concupiscentia - sie versuchte nicht, mit ihm zu flirten, zitterte und hatte fast völlig trockene Augen, bei ihrem Volk ein Hinweis auf Trauer und Niedergeschlagenheit - wußte diesmal, wo sich die Herrin aufhielt: in der Kapelle. Als er sie betrat, sah er, wie Quaisoir Kerzen auf dem Alter anzündete.
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    »Ich habe nach dir gerufen«, sagte der Autokrat.
    »Ja, ich hab's gehört«, erwiderte sie. Einst hatte ihre Stimme betörend geklungen, doch jetzt war sie ohne Reiz - wie sie selbst.
    »Und warum hast du nicht geantwortet?«
    »Weil ich zu sehr aufs Gebet konzentriert war«, sagte Quaisoir. Sie blies die lange, dünne Kerze aus, mit der sie die anderen angezündet hatte, und wandte sich vom Autokraten ab und dem Altar zu, der den Hang zu Exzessen ebenso verdeutlichte wie das Schlafzimmer und die anderen Räume der Königin. Ein kunstvoll aus Holz geschnitzter und bemalter Christus hing an einem vergoldeten Kreuz, umgeben von je einem Cherub und Seraph.
    »Für wen hast du gebetet?«
    »Für mich selbst«, entgegnete Quaisoir schlicht.
    Der Autokrat griff nach ihrer Schulter und drehte sie zu sich herum. »Was ist mit den Männern, die dem Mob zum Opfer fielen? Hast du für sie kein einziges Gebet übrig?«
    »Es gibt andere Leute, die für sie beten, Freunde und Verwandte - Personen, die sie liebten. Ich habe niemanden.«
    »Mir blutet das Herz.«
    »Nein, das stimmt nicht«, erwiderte Quaisoir. »Allein der Mann der Schmerzen erbarmt sich meiner.«
    »Glaubst du?« fragte der Autokrat skeptisch. Die Frömmigkeit seiner Gemahlin verärgerte ihn nicht; er fand sie nur amüsant.
    »Heute habe ich Ihn gesehen«, sagte Quaisoir.
    Das war eine neue Marotte, und er ging darauf ein. »Wo?«
    erkundigte er sich mit gespieltem Interesse.
    »Beim Hafen. Er erschien auf einem Dach, direkt über mir.
    Man schoß auf Ihn, und Er wurde getroffen. Ja, ich habe beobachtet, wie Er getroffen wurde. Aber die Soldaten hielten vergeblich nach seiner Leiche Ausschau.«
    »Du solltest mit den anderen verrückten Frauen zur Bastion 584

    gehen«, riet er ihr. »Um dort auf die Wiederkunft des Herrn zu warten. Ich schicke dir alle deine Sachen nach, wenn du möchtest.«
    » Er wird hierherkommen«, sagte Quaisoir. » Er hat keine Angst. Nur du fürchtest dich.«
    Der Autokrat betrachtete seine Hände. »Schwitze ich? Nein.
    Hocke ich auf den Knien, um Gnade von Ihm zu erflehen?
    Nein. Du kannst mir viele verschiedene Verbrechen vorwerfen, und ich müßte mich fast immer schuldig bekennen. Aber Furcht wohnt nicht in mir. Du solltest mich eigentlich besser kennen.«
    » Er ist hier, in Yzordderrex.«
    »Dann laß Ihn kommen. Ich bleibe an diesem Ort, und Er wird mich finden, wenn Er nach mir sucht. Allerdings nicht beim Gebet. Vielleicht entdeckt Er mich auf der Toilette, wenn Er einen solchen Anblick ertragen kann.« Der Autokrat nahm Quaisoirs Hand und preßte sie sich zwischen die Beine.
    »Möglicherweise hat Er Grund, neidisch auf mich zu sein.« Er lachte. »Früher hast du zu diesem Burschen hier gebetet, Teuerste. Erinnerst du dich? Sag mir, daß du dich daran erinnerst.«
    »Ich gebe es zu.«
    »Es ist kein Verbrechen. So wurden wir erschaffen. Jeder von uns muß den Geboten der Natur gehorchen.« Der Autokrat trat abrupt einen Schritt näher und umarmte seine Frau. »Glaub nur nicht, daß du mich verlassen kannst, um dich ganz Ihm zuzuwenden. Wir gehören zusammen. Wenn du mir ein Leid zufügst, so fühlst auch du den Schmerz. Denk daran. Wenn unsere Träume brennen, so bedroht die Glut uns beide.«
    Quaisoir verstand und setzte sich nicht zur Wehr. Entsetzen ließ sie erbeben.
    »Ich möchte dir nicht deinen Trost nehmen. Gönn dir deinen Mann der Schmerzen, wenn Er dir hilft, ruhig zu schlafen.
    Aber vergiß nie, daß unser Fleisch vereint ist. Was auch immer 585

    du unten in der Bastion gelernt hast - es bleibt ohne Einfluß auf das, was du bist.«
    »Gebete genügen nicht...«, sagte Quaisoir mehr zu sich selbst.
    »Gebete sind sinnlos.«
    »Dann muß ich zu Ihm und Ihm zeigen, wie sehr ich Ihn verehre.«
    »Du bleibst hier.«
    »Ich habe keine Wahl. Es ist die einzige Möglichkeit. Er befindet sich in der Stadt und wartet auf mich.«
    Quaisoir schob ihren Gemahl von sich fort.
    »In Lumpen gekleidet gehe ich zu Ihm«, sagte sie und begann damit, ihre Kleidung zu zerreißen.

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