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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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brummte anerkennend.
    »Verabschiede dich von Freunden und Bekannten«, fügte Sartori hinzu. »Triff alle notwendigen Vorbereitungen.«
    »Brechen wir so bald auf?«
    »Bevor die Asche dort draußen kalt wird«, sagte der Autokrat.
    Es war ein sonderbarer Schlaf, aber Judith kannte den Kosmos des Unbewußten inzwischen gut, und deshalb regte sich keine Furcht in ihr. Diesmal blieb sie im Zimmer, genoß den übertriebenen Luxus der unmittelbaren Umgebung und schien dabei zu pulsieren, im gleichen Rhythmus wie die vielen Schleier, die in einer leichten Brise hin und her wogten.
    Gelegentlich hörte sie ein Geräusch von den Höfen, und dann öffnete sie die Augen, nur um sich dem herrlichen Gefühl hinzugeben, sie gleich wieder zu schließen. Einmal weckte sie der Klang von Concupiscentias fast schriller Stimme - die Zofe sang in einem fernen Zimmer. Zwar konnte Judith keine Worte verstehen, aber sie wußte trotzdem, daß es sich um ein Klagelied handelte, erfüllt von Sehnsucht nach Dingen, die für 752

    immer verloren waren. Sie sank in den Schlaf zurück und dachte dabei, daß traurige Lieder immer gleich klangen, ganz gleich, in welcher Sprache man sie sang. Die Melodie war essentieller Natur, ebenso wie das Symbol des Körpers - ein Zeichen, das sich zwischen den Domänen transferieren ließ.
    Die Musik und der Duft des Kopfkissens erwiesen sich als starke Narkotika. Nach einigen melancholischen Strophen von Concupiscentias Lied wußte Jude nicht mehr, ob sie schlief und das Klagen im Traum vernahm, oder ob sie wach und irgendwie von den Fesseln der Schwerkraft befreit war, um ohne Gewicht zu schweben. Nun, eigentlich spielte es gar keine Rolle. Das Empfinden war sehr angenehm, und sie hielt es fest, verdrängte damit den Schrecken der vergangenen Nacht.
    Kurz darauf bekam sie einen Beweis dafür, daß sie träumte.
    Ein trauriges Phantom erschien in der Tür und beobachtete sie durch die Schleier. Ein Mann. Und Judith erkannte ihn, bevor er sich dem Bett näherte. An dieses Gesicht hatte sie in der letzten Zeit nicht oft gedacht, und deshalb fand sie es seltsam, daß ihr träumendes Ich sich ausgerechnet jetzt daran erinnerte und der vertrauten Gestalt sogar erhebliche erotische Ausstrahlungskraft verlieh. Sie sah Gentle, und sie sah ihn ganz genau. Ein Schatten von Besorgnis lag auf seinen Zügen.
    Er hob die Hände und strich so über die Schleier, als seien es Judes Beine, als genügte eine zärtliche Berührung, um sie zu spreizen.
    »Ich habe nicht damit gerechnet, dich hier anzutreffen«, sagte er. Seine Stimme klang rauh, und das Gesicht zeugte von einem ebenso intensiven Verlust, wie er in Concupiscentias Lied Ausdruck gefunden hatte. »Wann bist zu zurückgekehrt?«
    »Vor einer Weile.«
    »Du riechst gut.«
    »Ich habe gebadet.«
    »Wenn ich dich so sehe... Dann wünsche ich mir, dich 753

    mitnehmen zu können.«
    »Wohin gehst du?«
    »Zurück zur Fünften«, sagte der Traum-Gentle. »Ich bin gekommen, um mich von dir zu verabschieden.«
    »Von der Tür aus?« fragte Judith.
    Ein breites Lächeln erhellte seine Miene, und als Jude es sah, fiel ihr ein, wie leicht Verführungen für ihn gewesen waren: Wenn Frauen dieses Grinsen sahen, zogen sie sich den Ehering vom Finger und hoben den Rock. Aber warum kritisch sein?
    dachte Judith. Dies ist nur eine erotische Vision. Sie träumte, daß er den Vorwurf in ihren Augen sah und um Verzeihung bat.
    »Ich weiß, daß ich dich verletzt habe«, sagte er.
    »Das ist jetzt alles vorbei«, erwiderte Judith großzügig.
    »Wenn ich dich so sehe...«, begann Gentle noch einmal.
    »Sei nicht sentimental«, unterbrach sie ihn. »Ich möchte nicht sentimental sein. Ich möchte nur, daß du zu mir kommst.«
    Sie spreizte die Beine, zeigte ihm die Pforte zwischen den Schenkeln. Er zögerte nicht länger, schob die Schleier beiseite, kletterte aufs Bett, zerrte das Gewand von Judiths Schultern und preßte seine Lippen auf die ihren. Aus irgendeinem Grund sorgte ihr Traum dafür, daß Gentles Kuß nach Kakao schmeckte. Ein weiterer seltsamer Aspekt, der den Genuß jedoch nicht beeinträchtigte.
    Jude zupfte an seiner Kleidung, doch sie ging ebenfalls auf den Einfallsreichtum ihres Unterbewußtseins zurück: Das Hemd bestand aus dunkelblauem Stoff, präsentierte Tressen und Knöpfe in fetischistischer Fülle. Überall glänzten winzige Schuppen - als hätten Dutzende von Eidechsen Gentle mit ihrer Haut gekleidet.
    Durch das Bad war Judiths Haut besonders sensibel, und

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