Imagica
wußten, woher diese Gefühle kamen.
War ihnen klar, daß sie die Philosophie des Rekonzilianten nun für ihre eigenen Zwecke verwendete? Was auch immer der Fall sein mochte: Ihre Bemerkung rief Respekt hervor.
»In dem Fall wünschen Wir dirviel Glück«, sagte Tishalulle.
»Schickt Ihr mich fort?« erkundigte sich Judith.
»Du bist gekommen, weil du eine Antwort suchst, und Wir können sie dir geben.«
»Wir wissen, daß nur wenig Zeit bleibt«, fügte Uma Umagammagi hinzu. »Und wir haben dich nicht ohne Grund so lange hierbehalten. Während du dich hier in Geduld geübt hast, habe ich Imagica durchquert, um nach Hinweisen Ausschau zu halten. In jeder Domäne wartet ein Maestro auf den Beginn der Rekonziliation...«
»Gentle hat sie also noch nicht eingeleitet?«
»Nein. Er wartet auf eine Nachricht von dir.«
»Und was soll ich ihm mitteilen?«
»Ich habe einen Blick in die Herzen der Maestros geworfen -
und dort nach bösen Absichten gesucht...«
»Und hast Du welche gefunden?«
»Nein. Natürlich sind sie nicht völlig rein - wer ist das schon? Aber sie alle möchten, daß Imagica eins wird. Und sie alle halten einen Erfolg der bevorstehenden Zeremonie für 1193
möglich.«
»Teilt Ihr diesen Optimismus?«
»Ja, Wir sind ebenfalls zuversichtlich«, erwiderte Tishalulle.
»Natürlich wissen die Maestros nicht, daß sie den Kreis vervollständigen. Sonst würden sie es sich vielleicht anders überlegen.«
»Warum?«
»Der Kreis gehört Unserem Geschlecht, nicht ihrem«, erklärte Jokalaylau.
»Das stimmt nicht ganz«, warf Uma Umagammagi ein. »Er gehört jeder Seele, die in der Lage ist, sich ihn vorzustellen.«
»Und damit sind Männer überfordert, Schwester«, sagte Jokalaylau. »Hast du das vergessen?«
Uma Umagammagi lächelte. »Vielleicht ändert sich selbst das, wenn es Uns gelingt, sie von ihren Ängsten zu befreien.«
Aus diesen Worten ergaben sich viele Fragen, und das wußte sie. Sie richtete den Blick auf Jude.
»Für diese Dinge haben wir Zeit genug, wenn du zurückkehrst. Aber jetzt mußt du dich sputen.«
»Richte Gentle aus, daß er der Rekonziliant sein soll«, sagte Tishalulle. »Doch den Rest behalte für dich, soweit es die Begegnung mit Uns betrifft.«
»Warum muß die Mitteilung unbedingt von mir stammen?«
fragte Jude. Sie sah Uma Umagammagi an. »Wenn Du schon einmal bei ihm gewesen bist... Kannst Du nicht erneut die Fünfte aufsuchen und ihn auffordern, die Rekonziliation durchzuführen? Ich möchte hierbleiben.«
»Das verstehen Wir. Aber glaub mir: Er ist nicht in der richtigen Stimmung, um Uns zu vertrauen. Nein, er muß es von dir persönlich erfahren.«
Judith seufzte. »Na schön.«
Ganz offensichtlich blieb ihr keine Wahl. Sie hatte die erhoffte Antwort erhalten, und nun verlangten die Umstände von ihr, die Erde aufzusuchen, obgleich ihr eine derartige Reise 119
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alles andere als wünschenswert erschien.
»Darf ich noch eine Frage stellen, bevor ich gehe?«
»Ja«, sagte Uma Umagammagi.
»Warum zeigt Ihr Euch auf diese Weise?«
Die Antwort kam von Tishalulle:
»Damit du Uns erkennst, wenn Wir Uns zu dir an den Tisch setzen oder neben dir auf der Straße gehen.«
»Kommt Ihr in die Fünfte?«
»Vielleicht, irgendwann. Nach der Rekonziliation gibt es aber auch hier viel Arbeit für uns.«
Judith dachte daran, wie sich die Veränderungen außerhalb des Tempels in London wiederholen könnten: Mutter Themse, die an den Ufern emporkletterte und den Schmutz, an dem sie fast erstickt wäre, im Bereich von Whitehall und The Mall ablud, dann durch die Stadt strömte und Plätze in Bäder verwandelte, Kathedralen in Spielplätze. Diese Vorstellung entlockte ihr ein Lächeln.
»Ich warte auf Euch«, sagte sie und dankte ihnen. Dann verließ sie den Tempel. Draußen wurde sie vom Wasser in Empfang genommen, und die Brandung war so weich wie ein Kissen. Judith verlor keine Zeit, ging sofort zum Ufer und vertraute sich dem See an. Diesmal brauchte sie nicht zu schwimmen - die Wellen wußten Bescheid, trugen sie in einer Kutsche aus Schaum und Nässe zu den Felsen, von denen sie vor Stunden heruntergesprungen war. Von Lotti Yap und Paramarola war weit und breit nichts zu sehen, aber Jude rechnete nicht damit, beim Weg durch den Palast auf nennenswerte Probleme zu stoßen. Das Wasser hatte viele Korridore und Passagen jenseits des Sees fortgewaschen und dadurch freie Flächen geschaffen. Hier und dort erstreckten sich glitzernde Teiche, und Fontänen
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