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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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verschiedener Spezies in sich und wirkten so überaus exotisch (manche Exemplare hätten Ehrenplätze in einem mittelalterlichen Bestiarium verdient), daß Oscar an ihrer Existenz zweifelte: handgroße Wölfe, mit kanarienvogelartigen Flügeln; Elefanten, die in riesigen Schneckenhäusern lebten; ein gebildeter Wurm, der mit seinem hauchdünnen, siebenhundert Meter langen Leib Omen aufschrieb. Wunder über Wunder. Wenn Godolphin dieses Buch öffnete, verspürte er sofort den Wunsch, wieder aufzubrechen und mit einer neuen Reise durch die Domänen zu beginnen.
    Nun, selbst ein flüchtiger Blick in den siebten Band der Enzyklopädie der himmlischen Zeichen genügte, um zu erkennen, daß die getrennte Domäne einen außerordentlich großen Einfluß auf die übrigen Welten ausgeübt hatte. Die Sprachen der Erde - insbesondere Englisch, Italienisch, Hindustani und Chinesisch - waren in gewissen Variationen überall bekannt. Der Autokrat (die Wirren nach der fehlgeschlagenen Rekonziliation halfen ihm dabei, an die Macht zu gelangen) zog Englisch vor, und deshalb war diese Sprache zu einer Art überall gebräuchlicher linguistischer Währung geworden. Es galt als schick, Kindern Namen zu geben, die aus englischen Worten bestanden, wobei kaum jemand einen Gedanken daran verschwendete, was jene Wörter bedeuteten. Dieser Brauch führte dazu, daß ›Sünders‹ Tochter Hoi-Polloi ›Pöbel‹ hieß. Und dabei handelte es sich um einen der weniger seltsamen Namen. Godolphin kannte tausend andere, die weitaus sonderbarer waren.
    Manchmal dachte er daran, daß einige jener Bizarrerien auf ihn selbst zurückgingen. Im Lauf der Jahre hatten seine Reisen dafür gesorgt, daß der Einfluß des Saftigen Felsens wuchs. Es herrschte immer große Nachfrage nach Zeitungen und Zeitschriften (die man Büchern vorzog). Oscar hatte von Täufern in Patashoqua gehört, die Kindern Namen gaben, 124

    indem sie eine Nadel in die Times stachen und die ersten drei durchbohrten Worte wählten, ganz gleich, wie ihre Kombination klang. Wie dem auch sei: Godolphin war nicht der einzige beeinflussende Faktor. Er hatte weder Krokodile noch Zebras zu den anderen Welten getragen, auch nicht den Hund - obgleich er bereit gewesen wäre, auf den Papagei Anspruch zu erheben. Nein, seit Jahrtausenden existierten Wege von der Erde zu den Domänen; solche Verbindungen blieben keineswegs auf die Zuflucht beschränkt. Einige Türen zum Drüben waren zweifellos von Maestros und Esoterikern verschiedener Kulturen geöffnet worden, allein zu dem Zweck, zwischen den Welten zu wechseln. Andere schwangen durch Zufall auf, und wenn sie offen blieben... Dann galten die betreffenden Orte als verdammt oder heilig; man hielt sich von ihnen fern oder schützte sich mit fanatischem Eifer. Einige wenige Portale verdankten ihre Existenz den Wissenschaften der anderen Domänen, die sich auf diese Weise einen Zugang zur Sphäre des Saftigen Felsens schufen.
    Von einem solchen Ort, unweit der Mauern von Iahmandhas in der Dritten Domäne, stammte Godolphins kostbarster Besitz: eine Orakelschüssel, komplett mit ihren einundvierzig bunten Steinen. Zwar hatte Oscar sie nie benutzt, aber die Schüssel galt als das zuverlässigste prophetische Instrument aller Welten. In ihm verdichtete sich der Eindruck, daß die Ereignisse auf der Erde wichtigen Angelegenheiten zustrebten, und dieses Empfinden veranlaßte ihn dazu, die Orakelschüssel von ihrem Platz auf dem höchsten Regal zu nehmen, auszupacken und auf den Tisch zu stellen. Im Anschluß daran holte er die Steine aus dem Beutel und legte sie in den Napf.
    Eigentlich wirkte das Objekt nicht gerade vielversprechend: Es ähnelte einem Keramiktopf, den man in der Küche verwendete, um Eier für ein Souffle zu zerrühren. Die Steine glänzten in unterschiedlichen Farben; einige von ihnen sahen aus wie kleine flache Kieselsteine, und andere waren so groß wie ein 125

    Auge.
    Nach den Vorbereitungen fühlte sich Godolphin von Zweifeln heimgesucht. Glaubte er überhaupt an Prophezeiungen? Und wenn es ihm tatsächlich gelang, die Skepsis zu überwinden: Lohnte es, über die Zukunft Bescheid zu wissen? Wahrscheinlich nicht. Früher oder später drohte eine Konfrontation mit dem Tod. Nur Maestros und Gottheiten lebten ewig; ein Mensch mochte Unheil und Verderben herausfordern, wenn er in Erfahrung brachte, wieviel Zeit ihm noch im Diesseits blieb. Allerdings... Vielleicht lieferte die Schüssel einen Hinweis darauf, wie Oscar mit dem Argwohn

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