Imagica
der Besucher schließlich verkündete, es werde Zeit für ihn, wieder die Vierte aufzusuchen, bedachte ihn der Junge mit einem bestürzten Blick.
»Keine Sorge«, sagte Tick. »Du siehst mich bald wieder -
mit einer Touristengruppe.«
Bevor er aufbrach, begab er sich noch einmal zu Gentle.
»Begleite mich zur Vierten«, sagte er. »Dort kannst du Patashoqua bewundern.«
Der Rekonziliant schüttelte den Kopf.
»Du hast dir noch nicht das Fröhliche Ti' Ti' angesehen«, wandte Tick ein.
»Ich weiß, was du beabsichtigst«, erwiderte Gentle. »Und 1303
ich danke dir dafür, ehrlich. Aber es liegt mir nichts daran, noch einmal die Vierte Domäne aufzusuchen.«
»Woran hast du sonst Interesse?«
»An nichts«, lautete die schlichte Antwort.
»Hör endlich auf damit, Gentle«, sagte Tick Raw. »Es wird allmählich langweilig. Du verhältst dich so, als hätten wir alles verloren. Aber das ist nicht der Fall.«
»Ich habe alles verloren.«
»Sie kehrt bestimmt zurück. Da bin ich ganz sicher.«
»Wer?«
»Judith?«
Gentle lachte fast.
»Es geht mir nicht um Judith«, murmelte er.
Tick Raw begriff seinen Irrtum und blinzelte verblüfft.
»Oh...«, brachte er hervor.
Vor einem Monat war der Besucher zum erstenmal neben dem Bett des Rekonzilianten erschienen, doch Gentle hatte ihn nicht angesehen. Jetzt richtete er den Blick auf seinen Kollegen aus der Synode.
»Tick...«, begann er. »Ich sage dir nun etwas, das ich bisher für mich behalten habe. Niemand weiß davon.«
»Ja?«
»Als ich in der Stadt meines Vaters weilte...« Gentle zögerte und schien einige Sekunden lang mit sich selbst zu ringen.
Vielleicht bereute er seine Entscheidung, das Geheimnis preisgeben zu wollen. »Als ich in der Stadt meines Vater weilte, sah ich Pie'oh'pah.«
»Lebte er?«
»Ja. Aber kurz darauf starb er.«
»Lieber Himmel! Auf welche Weise kam er ums Leben?«
»Der Boden öffnete sich unter ihm.«
»Schrecklich«, flüsterte Tick Raw. »Schrecklich.«
»Verstehst du jetzt, warum ich mich nicht wie ein Sieger fühle?«
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»Ja, ich verstehe. Aber...«
»Bitte, kein falscher Trost, Tick.«
»Aber es haben so viele Veränderungen begonnen. Vielleicht kommt es auch in der Ersten Domäne zu Wundern, so wie in Yzordderrex. Ausgeschlossen ist das sicher nicht.«
Gentle kniff die Augen zusammen und musterte den anderen Maestro.
»Die Eurhetemecs wohnten lange vor Hapexamendios in der Ersten«, fuhr Tick Raw fort. »Und sie befaßten sich dort mit geheimnisvollen Dingen. Vielleicht kehren jetzt jene Zeiten zurück. Das Land vergißt nicht. Menschen vergessen, auch Maestros - aber das Land? Nein, nie.«
Er erhob sich.
»Begleite mich zum Ort des Todes«, sagte er. »Damit wir dort nach unserem Selbst Ausschau halten. Was kann's schaden? Ich trage dich auf dem Rücken, wenn deine Beine zu schwach sind.«
»Das ist nicht nötig.« Gentle schlug die Decke zurück und stand auf.
Der August mußte erst noch beginnen, aber die frühen Monate des Sommers brachten eine solche Hitze, daß die warme Jahreszeit ihre Kraft vorzeitig verausgabte. Als Gentle, Tick und Clem das Haus verließen und auf die Gamut Street traten, spürten sie dort bereits die erste Kühle des Herbstes.
Schon achtundvierzig Stunden nach der Rekonziliation hatte Clem den Nebel gefunden, der eine Pforte zur Ersten Domäne bildete, doch er schreckte davor zurück, sie zu durchschreiten -
ihm lag nichts daran, die schreckliche Stadt des Unerblickten (beziehungsweise das, was davon übriggeblieben war) mit eigenen Augen zu betrachten. Jetzt führte er die beiden Maestros bereitwillig zu dem entsprechenden Ort. Die Entfernung zum Haus betrug nur etwas mehr als einen halben Kilometer. Das Portal aus Dunst befand sich hinter einem leeren Verwaltungsgebäude, verborgen in einem Kreuzgang.
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»Laß mich zuerst gehen«, sagte Clem zu Gentle. »Wir sind noch immer deine Schutzengel.«
»Ihr habt eure Pflicht erfüllt«, erwiderte der Rekonziliant.
»Bleibt hier. Es dauert nicht lange.«
Clem widersprach nicht, trat beiseite und beobachtete, wie die beiden Maestros in dem Nebel verschwanden. Inzwischen war Gentle oft zwischen den Domänen unterwegs gewesen und daher an die Desorientierung gewöhnt, die ein derartiger Transfer mit sich brachte. Aber nichts - nicht einmal die Alpträume unmittelbar nach der Zusammenführung - hatte ihn auf das vorbereitet, was ihn in der Ersten erwartete. Tick Raw reagierte sofort, als ihm Verwesungsgestank
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