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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Fähigkeiten der Selbstheilung. An jedem Tag schlief er zwanzig oder mehr Stunden und stand nur selten auf, wenn er wach war.
    »Du scheinst viel hinter dir zu haben, mein Freund«, kommentierte der Besucher.
    »Mehr als mir lieb ist«, erwiderte Gentle.
    »Ich rieche Oviaten.«
    »Gek-a-gek. Aber keine Sorge: Sie können niemanden mehr bedrohen.«
    »Haben sie dich bei der Zeremonie gestört?«
    »Nein. Die Sache war ein wenig komplizierter. Frag Clem.
    Er kann dir die ganze Geschichte erzählen.«
    »Ich habe nichts gegen deine Freunde...« Tick Raw griff in eine Tasche seines Mantels und holte ein Glas mit Würstchen hervor. »Aber ich würde gern von dir hören, was sich hier zugetragen hat.«
    »Ich habe zu oft darüber nachgedacht«, sagte Gentle. »Und möchte nicht daran erinnert werden.«
    »Wir errangen einen grandiosen Sieg«, betonte Tick Raw.
    »Ist das kein Grund, um zu feiern?«
    »Wenn du feiern willst, so wende dich an Clem. Ich bin zu müde.«
    »Na schön.« Tick Raw stand auf und ging zur Tür. »Da fällt mir ein... Hast du was dagegen, wenn ich für einige Tage bleibe? In Vanaeph gibt's viele Leute, die mich gebeten haben, ihnen die Fünfte zu zeigen. Aber da ich diese Domäne noch nicht kenne...«
    »Du bist hier willkommen«, sagte Gentle. »Und entschuldige bitte, daß es mir an Freude mangelt.«
    »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich überlasse dich jetzt dem Schlaf.«
    An jenem Abend beherzigte Tick Raw den Rat des Rekonzilianten. Er bedrängte Clem und Montag mit Fragen, bis 1301

    er die ganze Geschichte kannte.
    »Wann lerne ich die faszinierende Judith kennen?«
    erkundigte er sich schließlich.
    »Ich weiß nicht, ob Sie Gelegenheit dazu bekommen«, erwiderte Clem. »Nach der Bestattung von Sartori kehrte sie nicht in dieses Haus zurück.«
    »Wo ist sie?«
    Montag brummte kummervoll. »Wo auch immer sie sich aufhält: Hoi-Polloi begleitet sie. So ein verdammter Mist!«
    Tick Raw überlegte. »Nun, mit Frauen bin ich immer gut zu-rechtgekommen. Was hältst du von folgendem Vorschlag?
    Wenn du mir diese Stadt zeigst, mache ich dich mit einigen Damen bekannt.«
    Montags Hand verließ die Hosentasche - sie hatte dort die Konsequenz von Hoi-Pollois Abwesenheit gestreichelt - und schloß sich um Tick Raws Finger, noch bevor der Besucher den Arm hob.
    »Sie sind ein wahrer Freund!« stieß er begeistert hervor.
    »Und Sie bekommen Ihre Tour durch London.«
    »Was ist mit Gentle?« wandte sich Tick Raw an Clem. »Verschmachtet er, weil er sich nach einer Frau sehnt?«
    »Nein. Der Grund heißt Erschöpfung. Aber er erholt sich bestimmt.«
    »Glauben Sie?« Es klang skeptisch. »Ich bin da nicht so sicher. Er sieht aus wie jemand, der lieber sterben als leben möchte.«
    »Sagen sie so etwas nicht.« »Nun gut. Ich nehme die Worte zurück. Aber sie entsprechen der Wahrheit, Clement. Und das wissen wir alle.«
    Die Einschätzung Tick Raws bestätigte sich; als die Tage verstrichen und zu Wochen wurden, verbesserte sich Gentles Stimmung nicht. Er verschmachtete tatsächlich, und in Clem erwachten wieder jene Empfindungen, die ihn während der letzten Lebensphase von Taylor begleitet hatten. Eine geliebte 130
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    Person fiel nach und nach dem Tod anheim, ohne daß er es verhindern konnte. In diesem Fall gab es nicht wie bei Tay die Möglichkeit, angenehme Erinnerungen zu teilen, über sie zu lachen und dadurch für einige Minuten Erleichterung zu finden. Gentle wollte weder Trost noch Mitleid. Er begnügte sich damit, einfach nur im Bett zu liegen und schien mit Laken und Matratze zu verschmelzen. Wenn er schlief, hörte Clem manchmal, wie er in fremden Zungen sprach, und dann entsann er sich an ein ähnliches Erlebnis mit dem verstorbenen Taylor.
    Tick Raw blieb einen Monat lang in der Fünften. Wenn die Sonne aufging, verließ er das Haus zusammen mit Montag und kehrte erst spät abends zurück. Jeden Tag verbrachte er damit, Stadt und Eigenheiten ihrer Bewohner besser kennenzulernen.
    Er staunte praktisch immer und fand an allen für ihn fremden Dingen Gefallen. Besonders Aalpastete liebte er, doch war er auch begeistert von Speaker's Corner am Sonntagmittag und Soho in der Nacht, von Hunderennen und Jazz. Er wußte Savile Row-Anzüge zu schätzen und kannte schon nach kurzer Zeit die Frauen, diehinter King's Cross Liebe verkauften. Was Montag betraf... Wenn er zusammen mit Tick Raw heimkehrte, machte sein Gesichtsausdruck deutlich, daß er Hoi-Polloi immer weniger vermißte, und als

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