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Imagon

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Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Silbersulfadizin-Schaum und Fettgaze. Die notwendige Analgetikagabe geschah durch mich in Form von Morphin. Für die postambulante Pflege empfehle ich Öl und Fettsalben, um die Narben geschmeidig zu halten und einer Sekundärwundbildung vorzubeugen. Vorteilhaft für die zukünftige Behandlung des Patienten wäre eine individuelle Kompressionskleidung, um das überschließende Wuchern des Narbengewebes zu verhindern. Einen dauerhaften Heilungserfolg … « Rijnhard atmete tief durch, ehe er sagte: » … halte ich allerdings für ausgeschlossen.« Er hielt sich das Diktiergerät gegen die Stirn, als wolle er das, was noch in seinem Kopf herumspukte, kraft seiner Gedanken auf dem Magnetband der Kassette speichern. Dann senkte er das Gerät ruckartig und schloss seine Aufzeichnung mit: »Palle Rijnhard, verantwortlicher Arzt der Breva-Station, König-Christian-Land, am Donnerstag, dem 27. Juni.«
    Er verstaute den Rekorder in seiner Jackentasche. Der obligatorische Griff zu seinem Flachmann folgte keine Sekunde später. »Ich denke, es wäre sinnlos, Ihnen etwas vorzumachen«, bemerkte er zwischen zwei Schlucken.
    »Natürlich«, gab ich tonlos zurück. »Ich habe schließlich Augen im Kopf.«
    Rijnhard stieß ein trockenes Schnauben aus. Er drehte sich halb zu mir herum und hielt mir den Flachmann entgegen. »Auch einen Schluck?«
    »Fällt das unter die Rubrik ›Analgetika‹?«
    Rijnhard grinste. »Ich könnte Ihnen auch eine 9-Millimeter reichen …«
    Ich streckte eine Hand aus dem Bad und ergriff die Flasche. Der weiße, ölige Schaum rann zäh meinen Arm herab und entblößte meine Haut – und einen unscheinbaren Teil dessen, was meinen gesamten Körper bedeckte: Narben. Hunderte und Aberhunderte von dunkelroten und violetten Narben.
    Rijnhard verzog beim Anblick meiner Hand keine Miene. Schließlich war er es gewesen, der mich gemeinsam mit Maqi und DeFries in diese Wanne verfrachtet hatte. Er hatte den Schock über meinen entstellten Körper längst hinter sich.
    Mit einem gewissem Zynismus betrachtet sah ich aus wie nach einer verwegenen Ganzkörpertätowierung. Aber es sind keine Tätowierungen, die mich für den Rest meines Lebens zeichnen. Es sind Wundmale. Sie bilden Formen und Muster, ineinander verschlungene Linien und Spiralen – ja, vielleicht sogar Schriftzeichen, wie DeFries schaudernd vermutet hatte. Jedenfalls sah manch eine der Narben wie ein kryptisches Symbol aus. Auf meinem gesamten Körper gab es kein einziges unverletztes Stück Haut mehr, das größer war als zwei Quadratzentimeter. Die Narben überzogen mein Gesicht, meine Arme, meinen Schädel, meine Handflächen und Fußsohlen, ja selbst meine Ohren und Augenlider und meine Genitalien. Ich trug kein einziges Haar mehr am Körper. Nirgendwo. Alles war kahl und vernarbt.
    Das Narbengewebe war jedoch keinesfalls glatt. Es wucherte an jeder Stelle millimeterhoch auf, bildete Wulste und Knoten. Wer – oder was – auch immer mir diese Entstellungen zugefügt hatte, hatte mich damit zu einem Monster gemacht. Zu etwas, auf das die Menschen mit Fingern deuten und um das sie einen weiten Bogen machen. Ich bin ein wandelndes Relief.
    Das Gesöff in Rijnhards Flasche entpuppte sich als Whiskey. Spätestens nachdem er mir die Kehle hinabgeflossen war, hielt ich die mir auferlegten Versorgungsmaßnahmen für Schwerbrandverletzte durchaus für angebracht. Ich kämpfte den drohenden Hustenanfall nieder und reichte dem Arzt mit tränenden Augen seinen Flachmann zurück.
    »Willkommen in der Welt der Lebenden«, kommentierte Rijnhard. »Ach, wenn Sie Ihre Hand schon mal draußen haben …« Er öffnete eine Gefriertruhe, in der er biologische Proben lagerte, zog einen chromglänzenden Metallkanister heraus und stellte ihn neben mir auf den Tisch. »Erlauben Sie mir noch ein kleines Experiment.«
    Ich verzog das Gesicht. »Für die Statistik?«
    »Aye«, grinste Rijnhard. Es wirkte zu gezwungen, aber ich willigte ein. In dem Moment, als Rijnhard den Deckel von dem Kanister nahm, kam auch DeFries wieder zurück.
    »Ich kriege keine Antwort«, erklärte er verstimmt. »Weder aus Scoresby, noch aus Mestersvig oder Kopenhagen. Hier könnten Pest, Cholera und der Dritte Weltkrieg ausbrechen, es ist dort draußen allen scheißegal.«
    »Funksperre«, erklärte ich müde, während der Arzt meinen rechten Unterarm mit Öl bestrich. »Die haben Ihnen schon zugehört. Sie antworten nur nicht.«
    »Bald wird sich zeigen, wie egal es denen dort draußen ist«,

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