Imagon
der Strahl der Lampe zeigte.
»Und ich höre auch nichts. Vielleicht macht Ihnen der Druck auf die Ohren zu schaffen.«
»Ja«, meinte ich nachdenklich. »Vielleicht.«
Nachdem ich mich einigermaßen beruhigt hatte, schritten wir aufmerksam die Wand zur Rechten des Eingangs ab, suchten aber vergeblich nach Spuren, die meine Schürf-Theorie belegen konnten. Das Gestein wirkte ausgewaschen und teilweise wie poliert und schien sich weiterhin zu bewegen, sobald man im Schein der Lampen den Blick darüber schweifen ließ. Es war, als ob die Wand atme, langsam pulsiere, sich gegen den Strahl der Lampe aufbäume oder versuche, davon zu fließen. Ich wünschte mir eine Handvoll Neuroleptika, die mir sagten, dass es nicht so sei, und bemühte mich, das Phänomen nur den Reflektionen des im Granit eingeschlossenen Glimmers zuzuschreiben.
Nach einigen Minuten stießen wir auf einen zweiten Eingang. Er sah jenem, durch den wir die Höhle betreten hatten, zum Verwechseln ähnlich und führte nach wenigen Metern ebenfalls schräg empor in lichtlose Regionen des Berges. Derartige Passagen entdeckten wir fortan in regelmäßigen Abständen von etwa einhundert Metern, und als wir nach mehr als einer Stunde endlich wieder an dem von DeFries markierten Ausgang anlangten, hatten wir insgesamt sechzehn dieser Tunnel gezählt. Die Kaverne, so überschlug ich in Gedanken, musste demnach einen Durchmesser von über fünfhundert Metern besitzen!
Während ich ungläubig die Decke ableuchtete, vernahm ich aus der Dunkelheit erneut dieses eigenartige, verlockende Rauschen. Es klang, als würden in der Ferne Hunderte von Leuten gleichzeitig in einer fremden Sprache zu tuscheln beginnen. DeFries schien das Geräusch jedoch noch immer nicht wahrzunehmen oder ließ es sich zumindest nicht anmerken. Er hatte sich seine Lampe unter den Arm geklemmt und machte sich eifrig Notizen. Vielleicht hatte er recht, und ich bildete mir das Flüstern tatsächlich nur ein. Vielleicht entstand es in meinem Kopf oder rührte von einem entfernten Wasserlauf oder einem Luftzug her. Doch selbst wenn …
»Die Höhle ist viel zu riesig«, brach ich schließlich das Schweigen. Ich sprach einzig aus dem Bedürfnis heraus, meine eigene Stimme zu hören und das geisterhafte Flüstern zu übertönen.
»Irgendetwas muss die Decke stützen. Vielleicht ist es kein vollkommener Hohlraum, sondern …«
»Was haben Sie vor?«, rief DeFries, als ich geradeaus in die Dunkelheit marschierte. »Poul?«
»Ich will sehen, was sich im Zentrum befindet. Verlaufen kann ich mich ja nicht.«
DeFries murmelte etwas von törichter Ungeduld, dann hörte ich, dass er mir in geringem Abstand folgte, wobei der Lichtkegel seiner Lampe unablässig auf meinen Rücken zielte. Da ich nicht befürchten musste, mich in der Dunkelheit zu verirren, lief ich zügig voran, ohne darauf zu achten, ob DeFries mit mir Schritt halten konnte. Das enorme Ausmaß der Höhle wurde mit jedem Meter, den wir zurücklegten, deutlicher. Um uns herum herrschte kosmische Schwärze. Nur die vom Schein der Lampen aus der Dunkelheit gerissenen Bodenplatten machten deutlich, dass wir uns tatsächlich bewegten.
»Warten Sie!«, rief DeFries plötzlich, als wir etwa zweihundert Meter zurückgelegt hatten. Er war wenige Schritte hinter mir stehen geblieben, und ich glaubte, er müsse lediglich verschnaufen. Statt dessen leuchtete er zurück zum Ausgang. Ohne innezuhalten, warf ich einen Blick über die Schulter und erkannte weit entfernt das Licht einer dritten Lampe. Vermutlich war es Maqi, der die Kaverne ebenfalls erreicht hatte und nach uns Ausschau hielt. DeFries schwenkte seine Lampe, um den Inuit auf uns aufmerksam zu machen. Ob Maqi daraufhin tatsächlich näher kam, erkannte ich nicht mehr, denn zu diesem Zeitpunkt galt meine Aufmerksamkeit bereits etwas, das vom Strahl meiner Lampe erfasst worden war. Es war allerdings keine gigantische Stützsäule, wie ich sie im Zentrum der Kaverne vermutet hatte. Ganz im Gegenteil …
»Dort vorne ist so etwas wie eine Mulde«, rief ich und verlangsamte unweigerlich meinen Schritt. »Sie ist gewaltig …«
»Warten Sie, bis Maqi bei uns ist!«, drängte DeFries.
Das fremdartige Flüstern und Gleiten wurde mit jedem Schritt intensiver, und es drang zweifellos aus der sich vor mir öffnenden Bodensenke. Ich erkannte in der Dunkelheit weder eine Hundertschaft tuschelnder Menschen, noch einen Wasserlauf oder eine Quelle.
Hinter mir vernahm ich DeFries’
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