Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
gefährlich. »Wie ist es denn gelaufen mit der blonden Birthe?«, erkundigte ich mich schnell.
»Wir haben geheiratet.«
»Oh.« Das hatte ich jetzt nicht erwartet, und da war er auf einmal wieder, der Kummer tief im Herzen. Gepaart mit der Wut. Ich war fast ein wenig erleichtert. In meiner gewohnten Gefühlswelt war ich sicher. Mit einem kurzen Seitenblick bemerkte ich Karls gerunzelte Stirn und die herabgezogenen Mundwinkel.
»Hat nicht lange gehalten«, sagte er.
Ich beschloss, wenigstens für die nächsten fünf Minuten mal gar nichts zu fühlen. Mit etwas Glück würde ich den Baggersee nachher ohne bleibende emotionale Schäden verlassen.
»Nur acht Jahre«, fügte Karl hinzu.
Nur ? Acht Jahre Ehe waren eine ganze Menge an Jahren, fand ich, selbst wenn man bedachte, dass Heidjer etwas andere Zeitbegriffe hatten als die übrigen Einwohner Deutschlands. In München zum Beispiel galt ein Paar, das länger als zwei Jahre verheiratet war, schon fast als Sensation. Zumindest in meinem Freundeskreis. Alle, die darüber lagen, wurden schon schief angesehen.
Acht Jahre! Nicht zu fassen …
Nele!, ermahnte ich mich. Keine Gefühle. Cool bleiben.
»Habt ihr Kinder?«, fragte ich vorsichtig. Ich war auf mindestens ein halbes Dutzend blonde Jungs und dralle Mädchen gefasst.
Karl schüttelte den Kopf. »Birthe kann keine bekommen.« Nun schlich sich tiefe Traurigkeit in seine Züge.
»Es tut mir leid«, murmelte ich. Karl hatte sich immer eine große Familie gewünscht. Ich auch. Damals mit ihm. Lauter kleine Lüttjens-Küppers, die …
Stopp!
Er hatte sich schon wieder in der Gewalt. »War schon Pech. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.« Jetzt blitzten seine Augen wieder.
Ich verstand. Mit der Zeugung der neuen glücklichen Großfamilie konnte gleich hier am Baggersee begonnen werden.
Hilfe! Da hatte ich nun jahrelang davon geträumt, Karl würde reumütig zu mir zurückkehren, und nun, da mein Traum in Erfüllung gehen sollte, war’s mir auch nicht recht. Mal hü, mal hott. Was wollte ich eigentlich?
Keine Ahnung.
Etwas Zeit vielleicht.
Gute Idee.
»Ich muss los«, sagte ich und sprang auf.
Karl kam auch mit einem Satz hoch und stand sehr dicht vor mir. Einladend, verführerisch, nach Heide und Lagerfeld Classic duftend.
Ich hob das Fahrrad auf und hielt mich daran fest. »Ciao, bis die Tage.«
Er nickte. »Bleibst du bis zur Beerdigung?«
»Ja, klar.« Die Beerdigung einer leeren Urne. Jetzt hatte ich es wirklich eilig, heimzukommen. Herzensdinge mussten warten.
»Dann haben wir ja noch Zeit.«
Wofür?, wollte ich fragen, ließ es aber lieber.
Zu heiß, das Thema.
9.
Die Zeit macht nur vor dem Teufel halt
Als ich durchs Dorf zurückradelte, schlug die Glocke am Kirchturm von St. Johannis zwölf Uhr.
Seltsam. Wo war der Vormittag abgeblieben? Konnte es sein, dass die Stunden sich zusammenzogen, wenn so viel auf einmal passierte?
Früher hatte die Zeit in Nordergellersen nie vergehen wollen. Jetzt raste sie nur so vor mir her, lief mir davon, machte sich lustig über mich.
Panik stieg in mir auf. Ich trat kräftiger in die Pedale, erreichte kurz darauf in voller Fahrt den Hof und konnte gerade noch abbremsen, bevor ich in der Hollywoodschaukel gelandet wäre.
Papa kam aus dem Stall, eine Plastikschüssel mit Kraftfutter für Ernie und Bert in der Hand.
»Is’ der Deibel hinter dir her? Und wo ist eigentlich deine Mutter?«
Was hatte das eine mit dem anderen zu tun?, fragte ich mich, während ich nach Luft schnappte. Ich war nicht mehr besonders gut in Form. Zu viel Arbeit, zu viele Partys in den letzten Jahren.
»Weiß ich doch nicht«, gab ich kurzatmig zurück. Das galt für beide Fragen. Die Sache mit dem Teufel konnte ich nicht ganz ausschließen. Gut möglich, dass der mitgekriegt hatte, was gestern im ICE mit Opas Asche passiert war. Nun rechnete er sich seine Chancen aus. Eine Frau, die so schusselig war wie ich, ließ womöglich irgendwo auch ihre Seele liegen, die er sich dann krallen konnte. War gar nicht so dumm, der Teufel. Ein winziges Stück Seele hatte ich vorhin am Baggersee zurückgelassen. In Karls Augen, um genau zu sein.
Oh Gott! Hilf mir! Ich schwöre, dass ich künftig jeden Sonntagmorgen in die Kirche gehen und immer ein braves Mädchen sein werde.
»Nele! Nun krieg dich mal wieder ein!«
Ich merkte, dass ich mit gefalteten Händen und verdrehten Augen in den Himmel starrte. Schnell senkte ich den Kopf und dachte an was anderes. »Also wirklich, Papa.
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