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Immer diese Gespenster

Immer diese Gespenster

Titel: Immer diese Gespenster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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«Hm, Gerüchte und Klatsch!»
    «Bei der Amerikanerin, Susan Marshall», erklärte Hero. «Es war alles ganz lustig und unterhaltend, bis eines Nachts etwas Widerliches in ihr Zimmer drang und sie am Hals packte. Da bekam es Sir Richard mit der Angst zu tun. Es scheint, daß er Lord Paradine geradezu zwang, mich mit dem Fall zu beauftragen, wobei ihn Isobel unterstützte, da die ganze Sache in ihrem Zimmer begann. Isobel konnte es offenbar nicht ertragen, daß das Porträt ihres Vaters von der Wand heruntergeworfen wurde.»
    Meg fragte: «Ist das alles wahr?»
    Hero antwortete: «Die Hälfte vielleicht... oder auch nur ein Viertel, wenn ich Glück habe.»
    «Wann fährst du hin?»
    «Morgen.»
    Meg blickte ihren Stiefbruder mit einem unergründlichen Gesichtsausdruck an. «Du freust dich darauf, nicht wahr?» fragte sie.
    «Ja, ganz gewaltig»,, sagte er. «Die Harfe, weißt du — zum erstenmal sieht es aus, als ob ein Lichtschein ins Dunkle fiele. Wenn ich sie mit eigenen Ohren hören, mit eigenen Augen sehen könnte — nur ein einziges Mal...»
    Sein mageres Gesicht leuchtete vor Begeisterung, und seine Stiefschwester betrachtete ihn mit wehmütigem Lächeln. «Nur ein einziges Mal etwas Echtes, nicht wahr? Und wenn doch wieder nichts dahintersteckt?»
    Alles Licht schwand aus Heros Gesicht, und sein Mund wurde schmal und hart, was ihn seine Stiefschwester fast ein wenig fremd machte. «Dann werden die Betreffenden wünschen, sie wären nie geboren», sagte er.
    Es folgte ein kurzes Schweigen, dann fuhr Hero fort: «Schau her, wenn eine Nonne, die seit vierhundert Jahren tot ist, durch das Schloß geistern soll, und die Leute schwören, sie hätten sie gesehen...»
    «Du wirst mich vielleicht benötigen», sagte Meg.
    «Ja.»
    Meg spielte mit einem Stück Brot und knetete es zwischen ihren langen Fingern. Sie sagte: «Ruf mich, wenn du mich brauchst, Sandro! Ich werde sofort kommen, das weißt du. Warte nicht zu lange damit.» Sie legte ihre schlanke Hand auf seinen Arm und sagte: «Mir ist die ganze Sache unheimlich. Bitte, paß gut auf dich auf!»
    Hero nickte etwas zerstreut, denn er dachte über das nach, was sie ihm erzählt hatte, und bemerkte daher nicht, wie besorgt ihre Stimme klang und wie zärtlich ihre Augen auf ihm ruhten.

    Alexander Hero, Privatgelehrter des Übersinnlichen, Mitglied der parapsychologischen Gesellschaft, unerbittlicher Feind aller Schwindler und Betrüger in der okkulten Welt, der in seinem elfenbein und schwarzen Bentley von Suffolk nach Norfolk fuhr, gab sich einen Augenblick dem Genuß der landschaftlichen Schönheiten hin. Er würde nun schon vor dem Mittagessen, statt am späten Nachmittag, in Paradine Hall sein, wie er mit Sir Richard abgemacht hatte. Er war, einem Instinkt folgend, schon am Morgen weggefahren, ohne lange zu überlegen. Er glaubte fest, daß solchen Ahnungen eine vernünftige Ursache zugrunde lag, die sich psychologisch erklären ließ. Ein abergläubischer Mensch oder einer, der mit dem komplizierten Mechanismus der menschlichen Seele weniger vertraut war, hätte die Ungeduld, mit der Hero nach Paradine Hall strebte, als eine Art hellseherische Antwort auf einen Hilferuf betrachtet. Doch Hero wäre — hätte er sich die Zeit genommen, genauer zu überlegen — zu dem Schluß gelangt, daß es keiner hellseherischen Fähigkeiten bedurfte. Der Hilferuf war allein durch Sir Richard Lockeries Besuch schon eindeutig manifestiert worden.
    Hero war seit seiner Studentenzeit in Cambridge nie mehr in Norfolk gewesen und feierte ein beglücktes Wiedersehen mit dem seidig blassen Blau des Himmels, der die ebene, an Holland erinnernde Landschaft überspannte. Nirgends in ganz England sah man so viel Himmel wie in Norfolk, denn nichts unterbrach die Sicht als gelegentlich eine Windmühle oder der gedrungene normannische Turm einer alten Dorfkirche.
    Hero lächelte glücklich wie ein Schuljunge, als er das dreieckige Segel einer Jacht erblickte, die scheinbar auf einem gepflügten Acker schwamm
    - ein Anblick, wie er sich nirgends auf der Welt sonst bot, denn die Kanaldeiche hier in Norfolk waren so hoch, daß man oft kein Wasser sah und meinte, die Schiffe glitten über das Festland hin. Während der schwere Bentley über die ebene Straße zwischen Norfolk und Yarmouth auf East Walsham zurollte, überkam Hero das Gefühl, schwimmendes Land unter sich zu haben, das sich eigentlich mit den Gezeiten der Nordsee heben und senken sollte wie eine im Schlaf atmende Brust. Ein

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