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Immer diese Gespenster

Immer diese Gespenster

Titel: Immer diese Gespenster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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gespenstische Erscheinung als echt und von menschlicher Bosheit und seelischer Verirrung unabhängig erweisen würde, wie eine solche wissenschaftlich bewiesene Entdeckung die Welt verändern könnte.
    Seine Betrachtungen wanderten zurück zu den Spannungen und verborgenen Strömungen während des Dinners. Warum hatte Beth Paradine sich ihrem Onkel Richard gegenüber so merkwürdig, ja geradezu ungezogen verhalten? Liebte sie Lockerie wirklich, oder bildete er sich das bloß ein? Und was war die Ursache für Susan Marshalls fiebrige Lustigkeit und Mark Paradines mürrische Miene? Er erinnerte sich an das endlose Geschwätz von Mr. Jellicot und Dr. Paulson über okkulte Dinge, das in schroffem Gegensatz zu dem beharrlichen Schweigen des Ingenieurs Dean Ellison stand. Er dachte an Lord Paradines wachsende Nervosität, an die unruhig umherschweifenden Augen seiner Frau, die immer wieder zu ihrem Sohn zurückkehrten; an die burschikose Fröhlichkeit von Mrs. Geraldine Taylor, die abstoßende Boshaftigkeit von Vetter Freddie und die neugierigen Blicke, die die herausgeputzte kleine Noreen ihm von Zeit zu Zeit zuwarf. Das Gespenstische an diesem Schloß waren die Menschen darin.
    Er dachte auch an die Rolle, die Isobel spielte. Wenn wirklich ein Vulkan unter der Oberfläche brodelte, dann hielt sie ihn unter Kontrolle. Sie war die perfekte Hausherrin, lauschte den Albernheiten Spendley-Carters mit größter Aufmerksamkeit, besänftigte ihren Bruder, der an allem herumnörgelte, hörte sich mit scheinbarem Interesse die Soldatenanekdoten Major Wilsons an, plauderte unbeschwert und sorgte dafür, daß alles wie am Schnürchen lief. Isobel hatte heute abend nichts von einer Nonne an sich gehabt.
    Seine Gedanken kehrten zu den Erscheinungen im Schloß zurück. Es fiel ihm auf, daß alles Okkulte uralten, überlieferten Vorbildern folgte, so als wären Gespenster streng an das gebunden, was über sie geschrieben wurde. Wenn es eine unsichtbare Welt gab, wenn Wesen existierten, die auf einer anderen Ebene wirkten, so litten sie an einem erschreckenden Mangel an Originalität. Das zwanzigste Jahrhundert hatte nichts ans Licht gebracht, was nicht schon zwei bis viertausend Jahre früher bekannt gewesen wäre.
    Die einzige Ausnahme bildete möglicherweise die Konzertharfe, die angeblich ohne menschliches Zutun erklungen war, und gerade in diesem Fall befand er sich in einem Dilemma. Da er erst später am Ort des Geschehens eingetroffen war, mußte er entweder den Behauptungen Glauben schenken, daß ein echtes okkultes Ereignis stattgefunden habe, oder aber er bezweifelte die Zeugenaussagen und schrieb sie Sinnestäuschungen, neurotischer Einbildung, absichtlicher Wahrheitsverdrehung oder einem mechanischen Trick zu. Die Untersuchung der Harfe hatte nichts zutage gefördert, was auf irgendwelche Machenschaften hingedeutet hätte — keine eingebaute Spieldose, keinen Mechanismus, der den Anschluß an ein Grammophon oder ein Tonbandgerät ermöglichte. Außerdem hatten die Saiten, wie Lord Paradine behauptete, tatsächlich vibriert. Somit blieb, nur Paradine selbst als Verdächtiger übrig. Durfte man ihm Glauben schenken? War er getäuscht worden, oder hatte er gelogen? Logen vielleicht überhaupt alle? Und wenn ja, warum — zu welchem Zweck?
    Aber Susan Marshall hatte die Harfenklänge ebenfalls vernommen, und Susan kam ihm nicht so vor, als gäbe sie sich Sinnestäuschungen hin. Wie aber konnte er wissen, ob Susan die Wahrheit sprach? Etwa weil die das Opfer einer Reihe anscheinend sinnloser Angriffe auf ihre Person geworden war? Im Unterschied zu anderen Gebieten gehörte in der Gespensterforschung das Opfer mit zu den Verdächtigen. In Kriminalfällen kam das Opfer als Täter von vornherein nicht in Frage. Nicht jedoch, wenn es um Okkultes ging. Was konnte Susan Marshall dabei gewinnen, wenn sie den Anschein erweckte, sie sei in Paradine Hall nicht gern gesehen?
    Hero geriet auf der Suche nach einem Motiv immer wieder in eine Sackgasse. Die Möglichkeit, daß Susan Marshall das Chaos in ihrem Zimmer selber angerichtet, die Bedrohung durch die Nonne erfunden und das tote Kaninchen auf ihren Teller praktiziert hatte, war nicht von der Hand zu weisen. Er wußte aus Erfahrung, daß sie trotz ihrer Selbstbeherrschung und kühlen Überlegenheit alles andere als gefühlskalt war. Sie wurde von mindestens zwei Männern im Schloß geliebt. Waren diese Geistererscheinungen ein Ausdruck ihrer eigenen Unentschlossenheit, oder hatten sie

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