Immer diese Gespenster
Zimmer befand sich auf dem gleichen Korridor; es war ebenfalls leer.
Er rannte weiter, bog um die Ecke und seufzte erleichtert, denn Susans Tür war zu. Er rief leise: «Susan — Susan, ist alles in Ordnung?» Da er keine Antwort erhielt, drückte Hero sachte den Griff herunter. Zu seinem Schrecken öffnete sich die Tür, die fest verriegelt hätte sein sollen. Angsterfüllt und auf das Schlimmste gefaßt, trat er ein und leuchtete mit der Lampe in alle Winkel. Das Bett war benutzt, doch Susan nirgends zu finden. Er fühlte sich fast erleichtert, daß sie nicht da war. Er richtete den Lichtstrahl seiner Lampe auf die Tür, und die Erleichterung war dahin. Der Riegel war nicht mehr da nur die Löcher, in denen die Schrauben gesessen hatten, gähnten ihn an.
17
Die Harfe, die von selber spielte
Sir Richard Lockerie tastete sich in höchster Unruhe durch die stockfinsteren Korridore des Schlosses und suchte, wie Alexander Hero sich ausgedrückt hatte, Er rührte sich nicht, als, von einem eisigen Wind angekündigt, etwas durch den Korridor sauste, gefolgt von eiligen, leichten Schritten, und er ein Schluchzen zu vernehmen glaubte, das ihm bekannt vorkam und ihn vor Angst erstarren ließ. Doch als er aus dem Ostflügel einen Schrei vernahm und Lord Paradine wegen des Lichtes aufbegehren hörte, hielt es ihn nicht länger. Er ging sie suchen und fand ihre Zimmertür offen. Er leuchtete mit der Lampe hinein; sie war nicht da. In diesem Augenblick versagte seine Taschenlampe, und er konnte sie nicht wieder in Gang bringen.
Lockerie war normalerweise ein kaltblütiger und mutiger Mann, aber die Finsternis, der Lärm und die Sorge um das heimlich geliebte Mädchen brachten ihn aus der Fassung. Er hatte Hero — und auch sich selber — versprochen, sie zu beschützen, und schon in den ersten Minuten der Heimsuchung kläglich versagt. Er tastete verwirrt in der Dunkelheit umher und suchte sie.
Beinahe wäre er die steile Treppe hinuntergestürzt, die in den unteren Stock führte, fing sich aber rechtzeitig wieder und blieb unten schwer atmend stehen.
Unschlüssig, wohin er sich wenden solle, blickte er sich um und sah ein wenig Helligkeit aus einer halb offenen Tür dringen. Er rannte darauf zu, trat ein und fand sich in der Bibliothek, wo silbernes Mondlicht durch die hohen Fenster einfiel, deren Vorhänge nicht ganz zugezogen waren. Davor gewahrte er die schlanke Gestalt und das blasse, angsterfüllte Gesicht des geliebten Mädchens; überglücklich öffnete er die Arme und rief: «Beth — Beth! Fürchte dich nicht — ich bin’s, Richard.»
Sie schien zu schwanken, und er fürchtete, sie könne fallen, bevor er sie erreichte. Doch sie streckte ihre Arme ebenso sehnsüchtig nach ihm aus wie er nach ihr, und im nächsten Augenblick lag sie an seiner Brust.
«Beth! Beth, Geliebte!»
«Richard! Liebster Richard!»
«Beth — ich liebe dich schon so lange.»
«Ich dich auch, Richard — solange ich mich erinnern kann.»
Dann stand kein Altersunterschied, keine Fremdheit und Schüchternheit mehr zwischen ihnen. Der Pseudo-Onkel und die kleine Nichte waren ganz einfach ein Mann und eine Frau, zwei glückliche Menschen, die sich gefunden hatten.
Ein Teil der Bibliothek, in den das Mondlicht nicht drang, lag in tiefem Schatten. Dort lauerte eine dunkle Gestalt in Ordenskleid und Kapuze — die Nonne. Die Liebenden merkten es nicht. Sie waren zu sehr mit sich und ihren Zärtlichkeiten beschäftigt. Sie verspürten das Bedürfnis, die Mißverständnisse, die ihrem Glück so lange im Wege gestanden hatten, so rasch wie möglich zu klären. Sie lachten über die Schranke, die sie getrennt hatte — den Altersunterschied.
In seinen Armen geborgen, flüsterte Beth: «Ich dachte, du liebtest Susan, Richard. Ich war überzeugt, daß Susan dir mehr bedeute als ich. Das machte mich tief unglücklich, weil ich dich und Julian so sehr liebe. Ich werde versuchen, ihm eine gute Mutter zu sein, Richard.»
«Ich wollte zu dir gehen, als es begann», sagte Lockerie. «Ich war außer mir vor Angst, als ich dich nicht in deinem Zimmer
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