Immer für dich da (German Edition)
gesagt, hätte sie es am liebsten wieder zurückgenommen, wusste aber nicht, wie. Während ihrer Entfremdung hatte sie ihre Wut aufrechterhalten müssen, sonst wäre die Einsamkeit unerträglich gewesen.
»Miss Ryan sagt, und ich zitiere: ›Sagen Sie dem Miststück, sie solle ihren designerverschönten Hintern aus ihrem überteuerten Ledersessel hieven und ihn zum Telefon bewegen.‹ Sie meinte außerdem, wenn Sie sie auch heute noch ignorierten, dann würde sie entlarvende Fotos von Ihnen an Zeitschriften verkaufen.«
Fast hätte Tully gelächelt. Wie war es möglich, dass zwei Sätze einen um Jahre zurückversetzten und das Sediment vieler schlechter Entscheidungen durchdrangen?
Sie nahm den Hörer. »Du bist hier das Miststück, und ich bin ziemlich sauer auf dich.«
»Klar bist du das, du Narzisstin, und ich werde mich nicht entschuldigen, aber das ist jetzt auch egal.«
»Ist es nicht. Du hättest schon lange anrufen –«
»Ich bin im Krankenhaus, Tully. Sacred Heart, vierter Stock.« Dann legte Kate einfach auf.
»Beeilung«, befahl Tully dem Fahrer zum fünften Mal nach ebenso vielen Blocks.
Als der Wagen vor dem Krankenhaus vorfuhr, stieg sie aus, rannte zur Glastür und hielt kurz, während die Sensoren sie in Bewegung setzten. Kaum war sie eingetreten, wurde sie von Menschenmassen umringt. Normalerweise räumte sie sich für das, was sie als »Fanpflege« bezeichnete, stets Zeit ein, doch nicht heute. Sie drängte sich zum Empfang durch. »Ich möchte zu Kathleen Ryan.«
Die Angestellte starrte sie an. »Sie sind Tallulah Hart.«
»Ja. Bitte sagen Sie mir, wo Kathleen Ryan liegt.«
»Ach ja, richtig.« Sie warf einen Blick auf den Computer, gab ein paar Daten ein und sagte dann: »Vier-zehn Ost.«
»Danke.« Tully steuerte den Aufzug an, merkte aber, dass ihr einige Fans folgten, die mit ihr in den Aufzug wollten.
Also nahm sie stattdessen die Treppe und gratulierte sich im dritten Stock, dass sie täglich Aerobic machte oder mit einem Personal Trainer trainierte. Trotzdem war sie außer Atem, als sie den vierten Stock erreichte.
Kaum hatte sie Kates kleines Zimmer betreten, wusste sie, dass es schlimm stand.
Johnny saß dort, auf einem hässlichen blauen Sessel. Er las William vor, Lucas lag auf seinem Schoß.
Marah hockte auf einem Stuhl neben William, hatte die Augen geschlossen und hörte über winzige Kopfhörer Musik von ihrem iPod. Sie wiegte sich im Takt der Musik, die nur sie hören konnte. Die Jungs waren groß geworden – das erinnerte Tully schmerzlich daran, wie lange sie sie nicht gesehen hatte.
Neben Marah saß Mrs Mularkey und starrte angestrengt auf ihr Strickzeug. Sean stand hinter seiner Mutter und sprach in sein Handy. Georgia und Ralph sahen in einer Ecke fern.
So wie es aussah, waren sie alle schon eine ganze Weile hier.
Es kostete sie riesige Überwindung, zu ihnen zu treten. »Hey, Johnny.«
Alle drehten sich um, als sie ihre Stimme hörten, doch niemand sagte etwas. Plötzlich fiel Tully ein, wann sie sich das letzte Mal gesehen hatten.
»Kate hat mich angerufen«, erklärte sie.
Johnny schob seinen schlafenden Sohn auf den Sessel und stand auf. Einen peinlichen Moment lang zögerte er, dann nahm er sie in die Arme. An der Heftigkeit, mit der er sie an sich drückte, merkte sie, dass er den Trost nötiger hatte als sie. Sie schlang die Arme um ihn und versuchte, ihre Angst zu unterdrücken. »Sag mir alles«, befahl sie schroffer, als sie beabsichtigt hatte, als er sie losließ und einen Schritt zurücktrat.
Er nickte seufzend. »Lass uns ins Wartezimmer gehen.«
Mrs M. erhob sich langsam.
Tully war betroffen, wie sehr sie gealtert war. Sie wirkte gebeugt und zerbrechlich, und da sie aufgehört hatte, ihr Haar zu färben, war es jetzt schneeweiß. »Katie hat dich angerufen?«
»Ich bin sofort gekommen.« Als ob das nach all der Zeit, die verstrichen war, noch zählte.
Da tat Mrs M. das Wunderbare: Sie umarmte Tully. Sie zog sie in eine Umarmung, die wie früher nach Jean-Naté-Parfüm, den Mentholzigaretten und dazu einem Hauch Haarspray roch.
»Komm«, sagte Johnny, machte der Umarmung ein Ende und ging voraus.
Johnny und Mrs M. setzten sich, Tully blieb stehen. Einen Moment lang schwiegen sie, doch je länger es dauerte, desto quälender wurde das Schweigen für Tully. »Sagt es mir doch.«
»Kate hat Brustkrebs«, erklärte Johnny schließlich. »Genauer gesagt, ein entzündliches Karzinom.«
Tully zwang sich, nur auf ihren Atem zu achten, um
Weitere Kostenlose Bücher