Immer für dich da (German Edition)
Er war riesig, mindestens eins fünfundneunzig, und hatte struppiges blondes Haar und Klamotten an, die aussahen, als hätte er darin geschlafen. Auf seinem T-Shirt prangte ein riesiges Marihuanablatt. Als sie eintraten, sah er auf.
»Das ist Tallulah Hart«, stellte Mr Ryan sie vor.
Der große Mann stöhnte auf. »Die mit den Briefen?«
»Genau.« Mr Ryan lächelte Tully an. »Das ist Mutt. Unser Kameramann.«
»Schön, Sie kennenzulernen, Mr Mutt.«
Das schien sie beide zu erheitern, und ihr Gelächter verstärkte ihr Gefühl, doch noch zu jung für den Job zu sein.
Er führte sie in ein Eckbüro und wies auf einen Metallstuhl vor einem Schreibtisch. »Nehmen Sie Platz«, bat er und schloss die Tür hinter sich.
Dann setzte er sich hinter seinen Schreibtisch und sah sie an.
Sie straffte die Schultern und versuchte, älter zu wirken.
»So, Sie sind also diejenige, die meinen Briefkasten mit all den Videokassetten und Berichten überschwemmt. Ich bin sicher, Sie sind so ehrgeizig, dass Sie Erkundigungen über uns eingezogen haben. Wir sind eine Niederlassung von KCPO in Tacoma und vergeben keine Praktika.«
»Das stand auch in Ihrem Brief.«
»Ich weiß. Ich habe ihn geschrieben.« Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
»Haben Sie meine Artikel gelesen und die Aufnahmen gesehen?«
»Ja, und das ist auch der Grund, warum Sie jetzt hier sind. Als mir klar wurde, dass Sie nicht aufhören würden, mir Ihre Arbeitsproben zu schicken, dachte ich, ich könnte sie mir genauso gut anschauen.«
»Und?«
»Tja, eines Tages werden Sie gut sein. Sie haben das gewisse Etwas.«
Eines Tages werden Sie gut sein?
»Aber Sie haben noch eine Menge zu lernen.«
»Deshalb möchte ich ja ein Praktikum bei Ihnen.«
»Sie meinen, das nicht existente?«
»Ich werde zwanzig bis dreißig Stunden für Sie arbeiten, kostenlos, und mir ist es egal, ob ich dafür Pluspunkte am College bekomme. Ich werde kopieren, recherchieren, Fakten überprüfen. Alles. Was riskieren Sie also?«
»Alles?« Jetzt sah er sie aufmerksam an. »Werden Sie auch Kaffee kochen, Staub saugen und das Klo putzen?«
»Wer macht das momentan?«
»Mutt und ich. Und Carol, wenn sie gerade keine Story hat.«
»Dann mache ich es auch.«
»Sie machen also alles, was nötig ist.«
»Ja, genau.«
Er musterte sie prüfend. »Aber Ihnen ist doch klar, dass es sich hier um unbezahlte Hilfsarbeiten handelt, oder?«
»Völlig. Ich könnte montags, mittwochs und freitags kommen.«
»Okay, Tallulah Hart. Zeigen Sie mir, was Sie draufhaben.«
»Das werde ich.« Sie lächelte. »Und ich heiße Tully.«
Er führte sie durch die Redaktion zurück. »Hey, Mutt, dies ist unsere neue Praktikantin Tully Hart.«
»Cool«, antwortete Mutt, ohne den Blick von der Kameraausrüstung auf seinem Schoß zu wenden.
An der Tür hielt Mr Ryan inne und musterte sie noch einmal. »Ich hoffe, Sie nehmen diesen Job ernst, Miss Hart. Ansonsten wird es eine sehr kurze Erfahrung für Sie.«
»Sie können sich auf mich verlassen, Mr Ryan.«
»Nennen Sie mich Johnny. Wir sehen uns Freitag. Um acht?«
»Ich werde hier sein.«
Als sie mit großen Schritten zur Bushaltestelle eilte, ging sie das Gespräch wieder und wieder in ihrem Kopf durch.
Sie hatte wirklich und wahrhaftig ein Praktikum eigens für sich geschaffen. Sollte Phil Donahue sie eines Tages in seine Show einladen, würde sie ihm genau das erzählen, um zu zeigen, wie couragiert und entschlossen sie war.
Ja, Phil. Das war ziemlich dreist, aber Sie wissen ja, wie es beim Fernsehen zugeht: eine gnadenlose Welt, und ich war ein Mädchen mit großen Ambitionen.
Aber zuallererst würde sie es Kate erzählen. Nichts war perfekt, bis sie es Kate erzählt hatte.
Dies war der Anfang ihres gemeinsamen Traums.
Die Kirschbäume auf dem Campus zeigten besser als jeder Kalender den Wechsel der Jahreszeiten an. Im Frühjahr strotzten sie von rosafarbenen Blüten, an warmen, friedlichen Sommertagen von sattgrünem Laub, zu Beginn des neuen Studienjahres von leuchtenden Farben, und jetzt, an diesem Novembertag des Jahres 1981 , zeigten sie sich kahl und nackt.
Für Kate ging alles viel zu schnell. Sie war Lichtjahre entfernt von dem stillen, schüchternen Mädchen zu Beginn des Studiums. In ihrer Zeit an der Universität von Washington hatte sie gelernt, Rollenspiele für die Bewerbungswochen zu leiten, ein Event für dreihundert Menschen zu planen und zu organisieren, ein Glas Bier oder eine Auster hinunterzukippen, als
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