Immer Schön Gierig Bleiben
wohnt auch hier, die hat sich hingelegt und kommt später runter.«
»Und einen trockenen Keller haben Sie doch sicher auch?« Pachulke nippte an seinem Glas und beobachtete Tenbrink aus den Augenwinkeln.
»Ja, sicher. Das ist alles voll unterkellert. Insgesamt haben wir siebzig Quadratmeter Kellerfläche, allein der Hobbykeller hat vierzig. Steht im Moment leider leer, aber jetzt …«
In diesem Moment kam Dorfner zur Tür herein, Schweiß stand ihm auf der Stirn.
»Mann, Dorfner, ganze Arbeit. Das nenne ich mal praktisch denken, Freude schenken.« Tenbrink streckte den Arm aus. »Hier durch die Tür und dann eine halbe Treppe nach oben. Schmeißen Sie Ihre Klamotten in die Waschmaschine und drücken Sie auf Start. Wir stecken die Sachen später in den Trockner, der Tag ist ja noch jung.«
Dorfner tippte zwei Finger an die Stirn und verschwand.
»Und, gibt’s was Neues vom Schminker?«, fragte Tenbrink.
Pachulke schüttelte den Kopf. »Ich weiß jetzt einiges über Schminke, ich war gestern im KaDeWe in der Kosmetikabteilung. Aber was den Täter betrifft, tappen wir immer noch völlig im Dunkeln.«
Tenbrink nickte und blies einen Rauchring, eine Aufforderung weiterzureden.
»Wir sind uns sicher, dass es
ein
Täter ist. Dafür ist der Modus Operandi zu charakteristisch.«
»Kein Kopierer?«
»Nein, Kopierer ahmen Menschen nach, die zweimal oder öfter gemordet haben. Und bis letzten Mittwoch gab es nur einen Mord. Wir hatten das mit der Schminke damals auch nicht an die große Glocke gehängt.«
Tenbrink blies noch einen Ring gegen die Decke.
»Es ist aber auch kein Serienkiller. Das heißt, Mord und Schminken stehen nicht in einem notwendigen Zusammenhang. Er mordet nicht, um zu schminken.«
»Vielleicht suchen Sie ja doch zwei Täter«, sagte Tenbrink. »Einen Mann, aber zwei Täter.«
»Sie meinen, der Täter ist schizophren? Nicht ganz knusper ist er bestimmt, wenn er tote Frauen schminkt.«
»Nein, nicht schizophren. Der Mann ist nicht krank im Sinne von Devianz. Er will es, glaube ich, einfach zu gut machen in diesem Leben.« Tenbrink hatte ein Bein übergeschlagen und lehnte sich mit dem Nacken ins Sofa. »In dieser Stadt gibt es Quartiere, da tauscht sich die Bevölkerung innerhalb von fünf Jahren nahezu vollständig aus. Ihre Haut braucht dagegen nur siebenundzwanzig Tage, um sich vollständig zu erneuern«, sagte er zur Zimmerdecke. »Aber nicht nur Quartiere verändern sich. Auch die Menschen werden im Lauf der Jahre zu anderen. Schauen Sie mich an. Glauben Sie, es war mein Plan, als ich ein junger Forensiker und neu in der Stadt war, dass ich hier einmal ein Haus bauen und gegen Wildschweine kämpfen würde?«
Pachulke rutschte tiefer in das Sofa hinein. Es war unglaublich gemütlich.
»Ich bereue nichts, mein Leben ist sehr gut verlaufen. Ich bin glücklicher, als ich es mir jemals hätte vorstellen können. Aber wenn Sie ein Foto von mir heute und von mir vor zwanzig Jahren nebeneinander halten, gibt es nur körperliche Äußerlichkeiten – unser Familienkinn – und die DNA, die Ihnen klarmachen, es ist ein und derselbe Mensch.«
»Wir haben keine DNA des Täters, in beiden Fällen nicht.«
»Das weiß ich doch. Ich meine nur: Was stellt in einem Leben Kontinuität her? Ihre DNA ist immer dieselbe, trotzdem können Sie ein anderer Mensch geworden sein. Die Suche nach einer DNA-Spur ist sehr mechanisch, und dazu brauchen Sie erst einmal eine Probe. Wenn Sie aber nach einem Motiv suchen, müssen Sie verstehen, dass sich Menschen komplett verändern.«
»Sie meinen, der Mörder war ein anderer, als er zum ersten Mal gemordet hat? Er war jung?«
»Ich meine, er war beim ersten Mord zwanzig und ist jetzt Anfang dreißig, nicht heute fünfundfünfzig und beim ersten Mord Mitte vierzig. Die beiden Morde umfassen die Zeitspanne, in der man sich als Erwachsener am stärksten verändert.«
»Und das Schminken?«
»Das Schminken war beim ersten Mord ein wichtiger Teil seines Lebens. Beim zweiten Mord war auch Sentimentalität im Spiel, als er wieder geschminkt hat.«
»Er hat seine Jugend wieder aufleben lassen?«, fragte Pachulke. Er schubberte sich den Rücken am Sofakissen.
»Das Opfer von letzter Woche, was hat sie zurzeit des ersten Mordes gemacht?«
»Sie hat studiert.«
»Eine Phase der Verpuppung, der Veränderung. Im ersten Lebensjahrzehnt verändert sich der Körper so radikal wie nie im Leben, im zweiten Lebensjahrzehnt ist es die Persönlichkeit und Psyche. Im dritten
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