Immer Schön Gierig Bleiben
gibt es immer. Das ist die Natur des Menschen.«
»Ich meine, warum haben wir nicht die Linse mit dem Gesicht gefunden?«
»Der Mann, den Sie suchen, hat Glück gehabt.«
27
Pachulke griff über den Zaun und drückte den kugelrunden Griff der Gartentür herunter. Tenbrink wohnte am Waldrand in einem großen freistehenden Einfamilienhaus, und auf dem Weg von der Bushaltestelle hierher hatte Pachulke keinen einzigen Autofahrer gesehen. Tenbrinks Haus war weißgestrichen und sah solide gebaut aus. Es gab drei Briefkästen, vielleicht lebten die Schwiegereltern mit ihm unter einem Dach. Bestimmt hatte das Haus auch einen Keller.
Er lief über die gekieste Einfahrt zum größeren Teil des Gartens, der hinter dem Haus lag.
Tenbrink stand am Grill. Ausnahmsweise schnitt er mal keine Leichen auf, sondern piekte fachmännisch in grobe Bratwürste hinein, damit das Fett besser abtropfen konnte.
Pachulke trat auf die Terrasse und gab Tenbrink die rechte Hand, die in einem Arbeitshandschuh steckte.
»Hallo, Herr Hauptkommissar«, sagte Tenbrink und winkte mit der Gabel. »Schön, dass Sie es geschafft haben. Was wollen Sie haben, Bier, Wein oder einen Prosecco?«
»Ein Glas Rotwein, sehr gerne.«
Eine junge Frau, oder war sie noch ein Mädchen?, die Tenbrinks buschige Augenbrauen und sein markantes Kinn geerbt hatte, stand hinter einem Biertisch. Sie winkte Pachulke zu sich heran. »Spanien oder Österreich?« Sie musste Tenbrinks älteste Tochter sein, von der er ein Familienfoto auf dem Schreibtisch stehen hatte.
»Vom Blauen Zweigelt, bitte.«
»Den trinkt Papa auch immer.« Sie schenkte ein. »Sehr zum Wohl, Herr Kommissar.« Anders als ihr Vater sprach Tenbrinks Tochter – sie hieß Frigga oder Freya oder so – nicht mit dem norddeutsch gedehnten Zungenschlag. Sie redete im lokalen Idiom, war auch hier geboren, genau wie ihre beiden jüngeren Geschwister, die gerade Fackeln in den Rasen bohrten.
Bei dem Wort
Kommissar
drehten sich ein paar der Gäste um, die nicht aus Pachulkes Dezernat oder aus dem Polizeipräsidium kamen. Sie musterten ihn und wandten sich dann wieder ihrem Gesprächspartner oder ihrem Lammkotelett zu. Pachulke kannte diesen Blick:
Bei dem darf ich mich nicht verplappern. Bei dem darf ich nicht Bulle sagen. Der sieht mir an der Nasenspitze an, dass ich was auf dem Kerbholz habe
.
Entsprechend schleppend verliefen bisweilen die Gespräche auf solchen Festen. Jeder hatte etwas ausgefressen. Oder glaubte es zumindest. Hier ein bisschen besoffen Auto fahren, dort der Carport aus Schwarzarbeit, und natürlich häusliche Gewalt. Der Preis des Gürtels unterschied sich je nach Wohngegend, die Striemen sahen überall gleich aus. Die Frauen, die verzweifelt schwiegen, auch. War es das, was dazu führte, dass viele Polizisten allein, in kaputten Beziehungen, getrennt oder geschieden waren? Zabriskie genoss ihr Singledasein mit Leib und Seele und hatte eine Vorliebe für Single Malt, die größer geworden war in den letzten Jahren.
Stiesel hatte keine Lebenspartnerin, aber eine Mutter, die das letzte Damenorchester auf der Reeperbahn geleitet hatte und mehr Geständnisse in ihrem Leben gehört hatte als Pachulke und Zabriskie zusammen. Außerdem hatte Stiesel einen weitverzweigten Clan und konnte sich bei einer seiner Schwestern oder Cousinen ausquatschen oder mit seinen Schwagern einen draufmachen.
Bördensen war glücklich verheiratet und hatte mit Lilly eine Frau gefunden, die auf die Welt gekommen war, um Polizistenehefrau zu werden. Im Moment saß sie auf einer Decke auf der Wiese mitten in einem Berg Spielsachen. Bördensens kleine Tochter schlief auf einem Lammfell, der Sohn baute etwas aus großen Legosteinen und brabbelte vor sich hin.
Er, Pachulke, lebte allein mit einigen zehntausend Schallplatten und einer halbherzigen Sehnsucht für Engine Plink. Doch im Moment hätte er nicht einmal eine Balletttänzerin zu sich nach Hause einladen können, er saß auf einer tickenden Bombe. Heute hatte er ein paar Lebensmittel gekauft, aber nur leichte Kost.
Pachulke prostete den beiden Leuten zu, die den Blick noch nicht abgewendet hatten, und beide hoben das Glas. Der eine war Kümmerle, Tenbrinks Assistent. Eine blonde Frau in einem enganliegenden roten Kleid lächelte Pachulke sehr überzeugend an. Die schien seine Lage zu verstehen, vielleicht arbeitete sie beim Finanzamt.
Die Frau in dem roten Kleid trat an Pachulke heran und reichte ihm die Hand. »Ich bin Heidrun Tenbrink. Ludger freut
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