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Immer Schön Gierig Bleiben

Immer Schön Gierig Bleiben

Titel: Immer Schön Gierig Bleiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Alef
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bisschen experimentiert und ausprobiert, was passiert, wenn man Polaroidpapier und einen Farblaserdrucker miteinander bekanntmacht. Hat mich einige Drucker gekostet, aber hier auf der Halde sitze ich an der Quelle. Wer im Müll lebt, lebt im Überfluss. Mir wird an nichts mangeln.«
    Zabriskie legte das Foto auf den Tisch.
    »Je öfter Sie einen Ausdruck machen, desto schlechter wird die Qualität. Beim ersten Mal war das ganze Bild farbig. Jetzt sind es nur noch der Autobahnwegweiser, den er jeden Werktag gesehen hat, und die beiden roten Würfel aus Plüsch, die am Rückspiegel hingen. Seine Glücksbringer, vielleicht von seiner Frau.«
    »Die ihm kein Glück gebracht haben«, sagte Zabriskie.
    »Was ist schon Glück?«, sagte Haeckel. »Es war seine stärkste Erinnerung, als er starb.«
    »Woran erinnern sich Demenzkranke?«, fragte Zabriskie.
    Haeckel räusperte sich. »Immer noch schnell mit den Fragen, wie ich sehe. Aber eine gute Frage, trotzdem. Das Licht, das ist das Letzte, was sie sehen. Die Lampe an der Decke ihres Krankenhauszimmers. Den Sonnenaufgang vor dem Fenster.« Er streckte die Hand aus und nahm die Plastiktüte mit Adomeits Kontaktlinse. »Wollen wir mal nachsehen, was in Ihrem Mitbringsel gespeichert ist?«
    Zabriskie nickte. Haeckel hob die Kontaktlinse mit der Pinzette heraus und hielt sie gegen das Licht. »Bitte mal die Sprühflasche«, sagte er zu Zabriskie.
    Sie gab ihm eine Flasche, die aussah, als könnte man damit die Topfpflanzen befeuchten, bloß dass es hier keine Pflanzen gab.
    Haeckel sprühte die Kontaktlinse ausgiebig ein. »Dadurch werden sie weicher und schmiegen sich besser an die Kontakte. Auch die Datenübertragungsrate steigt.« Er legte Verena Adomeits Kontaktlinse in das Lesegerät.
    Ein paar Minuten später standen sie wieder vor dem Drucker und spielten mit ihren Sonnenbrillen. Diesmal dauerte es nicht so lange, bis das grüne Licht blinkte.
    Auf dem Abzug war ein Mann zu sehen. Er streckte seinen rechten Arm aus, seine Hand war durch den unteren Bildrand abgeschnitten. Die Hand lag auf dem Hals von Verena Adomeit, im toten Winkel. Den linken Arm hielt der Mann ausgestreckt an seiner Seite. Am unteren Bildrand war gerade noch der Saum eines grauen Handschuhs zu sehen. Der Mann trug einen schwarzen Sakko, ein weißes Hemd und eine dunkle Krawatte mit einem geometrischen Muster. Er hatte kleine, enganliegende Ohren, die Stirn zeigte tiefe Falten, als würde er sich sehr anstrengen oder intensiv über etwas nachdenken. Er war hell-häutig und hatte einen sorgfältig gebräunten Teint. Im Hintergrund waren verwischte grüne Formen zu erkennen, die Bäume und Büsche der Grünfläche auf Stralau. Auf diesem Bild war noch viel mehr Farbe erhalten als bei dem Ausdruck von dem Verkehrsunfall.
    Immer mehr Details bildeten sich heraus. Zabriskie erkannte die Knöpfe und Knopflöcher des Sakkos und die feinen Verästelungen auf dem Krawattendesign. Nur zwischen den Ohren des Mannes blieb das Papier weiß. »Wo ist sein Gesicht?«, fragte Zabriskie.
    Haeckel schüttelte den Kopf. »Das hatte ich befürchtet.« Er deutete auf das Längsschnittmodell. »Sie wissen, wie ein Auge funktioniert?«
    »In groben Zügen«, sagte Zabriskie und starrte auf den Farbausdruck. Das durfte nicht wahr sein.
    »Wissen Sie, was der blinde Fleck ist?«, sagte Haeckel.
    »Nein«, sagte Zabriskie.
    »Das, was man mit einem einzigen Auge sehen kann, nennt man Gesichtsfeld. Hinten am Auge setzt der Sehnerv an. Dort, wo der Nerv in das Auge hineinwächst, gibt es keine Bildrezeptoren. Diesen Bereich nennt man den blinden Fleck. Die visuellen Daten, die dort auftreffen, werden nicht verarbeitet.«
    »Aber warum sehe ich dann ein vollständiges Bild?«
    »Weil die blinden Flecken Ihres linken und rechten Auges versetzt angeordnet sind. Was Sie mit dem einen Auge nicht sehen, sehen Sie mit dem anderen. Im Gehirn werden die beiden Bilder übereinandergeschoben und zu einem vollständigen Bild verschaltet.«
    Zabriskie starrte auf den Ausdruck von Verena Adomeits Kontaktlinse. Mittlerweile konnte sie die Kragenknöpfe erkennen und die Stirnfalten ihres Mörders zählen. »Und hier …«
    »Hier haben wir nur die Aufzeichnung von einem Auge. Das Bild ist deshalb unvollständig.«
    »Und das Gesicht des Mörders …« Zabriskie spürte, wie die Wut in ihr hochstieg.
    »Ist auf der anderen Kontaktlinse gespeichert. Die Tote hat ihn mit dem anderen Auge direkt gesehen.«
    »Das gibt’s doch nicht.«
    »Doch, das

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