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Immer verlasse ich dich

Immer verlasse ich dich

Titel: Immer verlasse ich dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Scoppettone
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zusammen mit einer attraktiven
Frau und zwei kleinen Kindern. Er nickt mir zu, ich nicke zurück, lächle und
wende mich ab. Ich entsinne mich, daß er, als ich ihn fragte, ob er mit Blythe
ausgegangen sei, ein schlichtes Nein zur Antwort gegeben hat. Na und? Und wenn
auch die meisten Männer hinzufügen würden, sie seien verheiratet, er hat es
nicht getan. Ist das ein Verbrechen? Andere Leute, die ich nicht kenne, rahmen
die Lightbournes ein. Weitere Nachbarn von Blythe nehme ich an.
    Als ich nach rechts schaue, sehe ich
Harry, den Portier, weitere Freunde von Meg, ihre drei Angestellten und Leute,
die ich nicht kenne. Ich frage mich unwillkürlich, ob Thema Nr. 1 wohl anwesend
ist.
    Ich stelle Spekulationen an, wie gut
alle diese Leute Meg wohl gekannt haben, oder ob sie, so wie ich, nur von der
Seite wußten, die sie ihnen zu zeigen beliebte. Und unterschieden sich ihre
Seiten von der, die ich zu sehen bekam?
    Würden meine Freunde mich sehr
unterschiedlich beschreiben, falls man sie nach mir fragte? Gäbe es einen
gemeinsamen Nenner, so wie ein schwarzer Faden, der durch eine weiße Webmatte
läuft?
    Ich habe mich selbst immer als offenes
Buch betrachtet, aber Kip lacht, wenn ich das sage. Sie sagt, ich sei
zurückhaltend und immer auf der Hut. Daher ist es gut möglich, daß Cecchi ein
ganz anderes Bild von mir hat als Susan, und Susan sieht mich anders als
William. Es ist weniger schwer zu glauben oder zu akzeptieren, weil es nicht
dasselbe ist wie das, was ich über Meg herausgefunden habe. Ich habe kein grosses Geheimnis vor meinen Freunden,
es sei denn, ich habe vor mir selbst ein Geheimnis, und ich glaube nicht, daß
das zählt.
    Wie viele Leute hier wissen, daß Meg in
etwas Ungesetzliches verwickelt war? Etwas Kriminelles?
    Der Geistliche spricht über Meg, sagt,
was für ein großartiger Mensch sie war. Und das war sie auch! Was habe ich denn
erwartet, was er sagt?
    Ich starre nach vorn auf den Sarg und
frage mich, ob Meg wohl die schwarz-weißen Schuhe trägt. Ich bin wie besessen
von diesem Gedanken und stelle mir vor, wie ich nach vorn laufe, den Deckel
öffne und nachsehe. Doch inzwischen wurde der Deckel zugenagelt, und was sollte
ich schon tun, wenn ich entdecke, daß die Schuhe fehlen?
    Mein Gott! Meg ist da drinnen. Tot. Es
trifft mich wie ein Schlag, als wäre es das erste Mal. Wie oft werde ich mir
noch wie zum ersten Mal eingestehen, daß sie tot ist? Kip nimmt meine Hand und
mir wird bewußt, daß ich irgendein Geräusch gemacht haben muß. Sie drückt mich,
und ich sie ebenfalls. Mehrere Leute gehen zum Altar und sprechen über Meg. Ich
kann es nicht. Ich würde das niemals durchstehen.
    Rosie steht auf, geht nach vorn. Sie
sieht aus, als wären Meg und sie nur entfernte Cousinen, mit einer nur
schwachen Familienähnlichkeit. Sie trägt ein blaues Polyesterkostüm, eine weiße
Bluse mit Rüschen. Ihr Haar hat die Farbe von Sweetheart-Rosen, und ich frage
mich, wie sie das gemacht hat. Und wieso?
    »Ich bin Megs Schwester«, beginnt sie.
»Ich kannte sie ihr ganzes Leben. Länger als irgendwer sonst hier, ausgenommen
ihre Eltern. Aber länger heißt nicht zwangsläufig besser.«
    Ja, denke ich, das ist richtig.
    »Die Meg, die ich kannte, ist
vermutlich anders als die Meg, die Sie kannten.«
    Ich kann nicht fassen, daß Rosie das
sagt.
    »Die Meg, die ich kannte, konnte eine
schreckliche Göre sein.« Leute lachen.
    »Aber damals war sie klein. Damals
wollte sie alles haben, was ich hatte, wollte tun, was ich tun durfte. Wenn ich
recht überlege, ging das so lange, bis ich zwei Jahre vor ihr aufs College
ging. Trotzdem waren wir immer dicke Freundinnen.«
    Ich weiß, daß dies nicht der Wahrheit
entspricht. Glaubt Rosie wirklich daran? Meg erzählte mir immer, welch ein
Biest Rosie sei, wie sie ihr den Arm umdrehte oder ihrer Mutter Lügen
auftischte, wer wann angefangen hatte. Und später, auf der High School, konnten
sie einander nicht ausstehen, weil sie um die Jungen konkurrierten (Meg war die
attraktivere von beiden) und ihre Eltern destruktiv ihre Intelligenz
verglichen; Rosie ging da mit ihren besseren Zensuren meist als Siegerin
hervor.
    »Meine Schwester war eine wunderbare
Frau«, fährt sie fort. »Sie war meine Vertraute, meine Ratgeberin, mein
Vorbild. Ja, ich war die ältere, aber Meg war die klügere.«
    Mir fällt ein, wie Meg mir erzählte,
Rosie habe ihr gesagt, sie solle sich »aus ihrem Leben heraushalten«, als Meg
ihr einmal einen Rat wegen ihrer Kinder geben wollte.

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