Immer verlasse ich dich
nichts anderes als ein Volksverhetzer.«
»Welcher von ihnen?«
»Sie allesamt. Aber ich rede von Bush.
Der Mann ist bereit, alles zu sagen und zu tun, was in seinen Augen seine
Chancen auf Wiederwahl erhöht.«
Es flößt mir gewaltigen Respekt ein,
wie sie es wieder geschafft hat, zu der Bush-Strafpredigt überzuleiten. Aber
ich befürchte auch, daß wir jetzt, wo es mit der Bush-Beschimpfung erst richtig
losgeht, nicht so schnell wieder davon wegkommen.
»Krieg gegen Drogen«, stößt sie wütend
hervor. »Ha! Der Präsident, unser aller Moralapostel«, spottet sie. »Weißt du
eigentlich...«
Die Türglocke geht. Kaum zu glauben,
daß ich tatsächlich gerettet werde!
Tom und Sam kommen herein. Sie
strahlen. Toms Gesicht leuchtet nicht so intensiv wie Sams. Obwohl es erst zehn
Uhr morgens ist, sieht er müde aus.
»Fertig?« fragt Sam.
Wir bejahen und verlassen mit ihnen das
Haus. Es ist ein herrlicher Morgen, so wie es sein sollte. Tom dringt darauf,
daß wir zu Fuß zur Thirty-first gehen, doch Sam sagt, das sei ihm zu
anstrengend. Ich bewundere die Art, wie Sam locker, aber bestimmt darauf
hinweist.
»Laßt mich ein Taxi bezahlen«, sagt
Kip.
Sie protestieren. Wir bestehen darauf.
Sie geben nach.
Die Fahrt rüttelt uns nicht nur durch,
wir brauchen auch vier Wochen, um dorthin zu gelangen.
Die Thirty-first zwischen Seventh und
Eight ist eine rührige Gegend. Wir befinden uns im Konfektionsdistrikt, und
Männer schieben Ständer mit Kleidung durch die Straßen. Dr. Woo residiert in
einem typisch langweiligen Gebäude. Zweiter Stock. Aufzug.
Als wir das Wartezimmer betreten, ist
noch ein anderer Mann dort. Man sieht auf den ersten Blick, daß er Aids hat.
Tom drängt uns, die restlichen zwei Plätze einzunehmen, und wir tun es, weil es
ihm so wichtig zu sein scheint.
Dieses Wartezimmer ist anders als alle,
in denen ich bisher gewesen bin. Es ist völlig schmucklos. Die Stühle sind aus
Holz, und in einem Glasschrank stehen reihenweise Krüge und Flaschen. Die Wände
sind kahl und in schon verblichenem Braunrot gestrichen. Da ist auch eine Frau,
die an einem Holztisch etwas, das ich für Kräuter halte, in einem Beutel
mischt. Sie scheint Chinesin zu sein, aber ich glaube nicht, daß sie Dr. Woo
ist, eher eine Assistentin. Das Kleid, das sie trägt, entspricht westlichem
Stil; landläufig bezeichnet man so etwas wohl als Hauskleid. An den Füßen hat
sie schwarze Slipper, Ballettschuhen ähnlich, und darin gleitet sie zwischen
Schrank und Tisch hin und her.
Die Tür zu einem Büro öffnet sich und
eine junge Frau, hager und ausgezehrt, kommt ins Wartezimmer, eine Chinesin ist
hinter ihr. Dies muß Dr. Woo sein.
Die Assistentin bindet den Beutel mit
den Kräutern, die sie gemixt hat, zu und gibt ihn der Frau. Der Mann steht auf.
Beide schütteln der Ärztin die Hand, und sie neigt mehrmals den Kopf.
»Sie wissen, was zu tun ist, ja?« sagt
die Ärztin.
»Ja. Wir wissen Bescheid.«
»Danke«, sagt der Mann. Ich sehe, daß
auch er einen Beutel hat. Sie gehen zusammen hinaus.
Dr. Woo ist eine mollige Frau um die
Vierzig. Sie hat etwa meine Größe, schwarzes Haar, ohne eine Spur von Grau. Sie
trägt ein blaues Gabardinekostüm: schlichte Jacke, knielanger Rock und eine
malvenfarbene Bluse. Sie lächelt.
»Mr. Adams?« sagt sie und schaut die
beiden Männer an.
Tom gibt sich zu erkennen, sie
schüttelt ihm die Hand und bittet ihn, ihr ins Büro zu folgen. Er sagt, daß er
uns alle dabeihaben möchte.
Ich hatte keine Ahnung, daß wir mit ihm
hineingehen sollen, und es macht mir Angst. Ich weiß auch nicht, warum.
»Selbstverständlich«, sagt sie. »Kommen
Sie.« Das erlebt sie nicht zum erstenmal.
Es ist ein kleiner Raum. Die Wände hier
sind cremefarben und mit Fotografien geschmückt, die Dr. Woo mit verschiedenen
anderen Personen zeigen. Hinten an der Wand steht ein herkömmlicher
Untersuchungstisch aus Leder und gegenüber eine kleine Couch, auf der wir drei
dicht nebeneinander Platz nehmen.
»Sie ziehen Hemd aus«, weist sie Tom
an. »Lassen Hose an.«
Er befolgt ihre Anweisungen, und mir
bricht fast das Herz, als ich die Verwüstungen an seinem einst wundervollen
Oberkörper sehe. Die Rippen stehen einzeln vor, so wie dünne Aste.
Sie sagt ihm, daß er sich auf den
Untersuchungstisch legen soll, und als er liegt, streift sie ihre Schuhe ab,
klettert hinauf und stellt sich auf seine Brust. Bemerkenswerterweise gibt er
keinen Laut von sich, wie ich erwartet hätte, wenn eine 125, 130
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