Immer wenn er mich berührte
geworden sein, denn Gaby sah ihn aufmerksam an: »Jürgen, was ist mit Ihnen? Ist Ihnen nicht gut?«
»Doch, doch«, beteuerte er schnell. Zum Teufel auch, was ging das den Inspektor an. Kümmerte der sich um ihn, wenn er allein zu Hause saß?
Nein, heute wollte er mal nicht allein sein. Er ließ die Rechnung kommen. Zur Ascona-Bar war es nicht weit, da konnten sie sogar zu Fuß gehen.
»Jürgen, warum sagen wir nicht du zueinander?«
Das war schon in der Ascona-Bar, gleich nachdem der Kellner den Champagner eingeschenkt hatte. Sie küßten sich, um die Bruderschaft zu besiegeln.
Jürgen spürte mehr als ihre Lippen bei diesem Kuß. Er spürte ihre Hände, ihren Körper, ihre Wünsche …
Nein, dachte er verbissen, ich darf mich nicht verlieben, ich darf das einfach nicht …
Ein paar Tänze tanzten sie. Und sie schmiegte sich dabei an ihn. Und sie legte ihren Kopf auf seine Schulter. Und ihre grünen Augen versprachen ihm den Himmel.
Er aber hatte plötzlich Angst. Die Angst vor sich selbst, vor ihr, vor dem, was man Liebe nennt. Im Wagen, als er schon den Weg zum Hilton eingeschlagen hatte, da stellte sie ihm plötzlich diese Frage. »Jürgen, warum sagst du mir nicht, daß du mich liebst?«
Da schwenkte er um, fuhr nach Mariendorf, am Heidefriedhof vorbei, überzeugt, daß diese wahnsinnige Idee ihn retten würde.
Gaby beobachtete ihn von der Seite. Sie hatte sich wie eine Katze zusammengerollt. Sein Schweigen machte ihr nichts aus. Sie wußte, daß er sie jetzt nicht zum Hotel zurückbrachte. Im Dunkel erkannte sie sein Profil. Er wird mich lieben wie nie eine Frau zuvor …
Erst als er den Schlüssel aus der Tasche zog und die Gartentüre aufsperrte, begriff sie, daß es sein Haus war.
Er knipste das Licht an, ließ sie vorangehen. Ein Blick genügte, um zu wissen, daß hier eine Frau lebte. Gaby war klug, erriet es an vielen Kleinigkeiten.
Sie blieb in der Mitte des Wohnraums stehen, sah ihn an. »Du bist verheiratet, nicht wahr?«
Es überraschte sie nicht sonderlich. Sie hätte es früher erfahren können, aber es interessierte sie nicht sonderlich. Wenn sie einen Mann wollte, war sie skrupellos.
»Meine Frau ist tot, Gaby.« Jetzt bemerkte sie erst, wie blaß er war. Und sie fing an zu begreifen, warum er sie hierher geführt hatte, in dieses Haus.
»Meine Frau hat vor sechs Wochen Selbstmord begangen.« Es fiel ihm sichtlich schwer, diesen Satz auszusprechen.
Das also war sein Problem, dachte Gaby. Er lebte hier mit einer Toten zusammen, hatte in den sechs Wochen nichts verändert, so als ginge sie noch immer ein und aus.
In dieser Sekunde machte Gaby alle Fehler, die sie heute vielleicht begangen hatte, wieder gut. Sie ging auf ihn zu, lehnte zärtlich ihre Hände auf seine Schultern und sagte leise: »Ich wollte es dir schon den ganzen Abend sagen. Und jetzt sage ich es dir trotz allem: ich liebe dich, Jürgen.«
»Es ist Wahnsinn«, sagte er.
»Nein, Jürgen. Liebe kommt nicht gelegen oder ungelegen. Sie kommt, wann sie will.«
Beides, fand sie, klang sehr schön. Und es würde seine Wirkung nicht verfehlen. Daß er verheiratet war – das hatte sie einkalkuliert. Bestimmt hätte er seine Frau heute betrogen. Daß seine Frau tot war, das machte die Sache komplizierter.
»Bitte, Jürgen, bring mich jetzt ins Hotel«, bat sie.
Im Wagen sprachen sie kaum etwas miteinander. Papa muß ihn nächste Woche nach München bestellen, dachte sie. Er wird wieder bei uns wohnen, und es wird dann alles ganz leicht sein. Wir werden glücklich sein, Jürgen, sprach sie in Gedanken. Was sollen Tote? Die stehen ja nicht wieder auf. Du mußt das Leben wählen, Jürgen, das heiße Leben …
Albert Juin , ein kleiner, lebhafter Mann um die Fünfzig, seines Zeichens französischer Generalkonsul in Casablanca, zündete sich eine seiner dünnen, schwarzen Zigarren an.
Diese junge Frau, die da in seinem Sessel saß, blond, schlank, schmal, und ihn aus großen blauen Augen ansah, war ein absolutes Rätsel. Sie wußte keinen Namen, keine Staatsangehörigkeit, keinen Wohnort, keine Geburtsstadt, keinen Familienstand. Alle Nachforschungen, die er in den letzten Wochen angestellt hatte, waren im Sand verlaufen …
»Madame«, sagte der Konsul, »ich würde es für das beste halten, den Fall Interpol zu übergeben. Die Internationale Polizei hat einen ganz andern Apparat zur Verfügung …«
»Ich dachte, die suchen nur Verbrecher«, entgegnete Janine.
»Für die Identifizierung von Personen sind sie
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