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Immer wenn er mich berührte

Immer wenn er mich berührte

Titel: Immer wenn er mich berührte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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lachen, dachte Jürgen, verliebt tun, Zärtlichkeiten flüstern, Liebesgeständnisse machen. Sie darf nicht spüren, daß ich nervös bin. Sie darf niemals ahnen, daß ich diesen Weg sorgfältig ausgewählt habe. Bis zur letzten Sekunde muß sie an Liebe denken, nur an Liebe …
    »Ach, Jürgen«, sagte sie kopfschüttelnd, »was hast du nur aus mir gemacht?«
    Er schwieg, drückte nur leicht ihren Ellenbogen.
    »Denkst du nie darüber nach, daß wir uns vorgestern um diese Zeit noch überhaupt nicht gekannt haben?«
    »Nein. Darüber denke ich nicht nach. Weißt du, wenn man sich liebt, zählen Stunden und Tage anders …«
    Ein bißchen erschrocken richteten sich ihre Augen auf ihn. »Liebe ist so ein großes Wort, Jürgen, wer sagt uns, daß wir uns lieben? Es kann auch ein Irrtum sein …«
    Sie blieben stehen, sahen sich an, suchten in ihren Gesichtern nach der Wahrheit. Jürgen umspannte mit seinen Händen ihren Nacken, zog sie an sich, küßte sie und dachte: Für dich, Janine, wird es ein tödlicher Irrtum sein.
    Janine aber glaubte diesen Küssen, sie ließ sie nicht nur geschehen, sie erwiderte sie, schmiegte sich an ihn, schlang ihre Arme um ihn, von einer plötzlichen, zärtlichen Sehnsucht erfüllt.
    Es ist kein Irrtum, dachte sie. Ich liebe ihn. Wenn er mich festhält, wird mir ganz schwindlig.
    »Liebst du mich?« hörte sie seine Stimme.
    »Ja«, flüsterte sie.
    Janine hatte das Gefühl, daß es gegen diese Liebe keinen Widerstand gab. Zwei Menschen, die zusammengehören – niemand konnte das aufhalten. Wie vertraut er ihr war, wie unentrinnbar sie sich zu ihm hingezogen fühlte, so, als hätte sie ihn ein halbes Leben lang gekannt.
    Sie preßte ihr Gesicht an seine Schultern, hörte den Schlag seines Herzens. Was war sie vor zwei Tagen noch gewesen? Ein Mädchen, dessen ganzes Leben um die verlorene, vergessene Vergangenheit kreiste. Es hatte keine Zukunft gegeben, kaum eine Gegenwart, sie hatte gelebt wie hinter einer gläsernen Wand, bis Jürgen kam und sie wieder wie eine richtige Frau fühlen ließ …
    Er drehte plötzlich den Kopf zur Seite, horchte angestrengt.
    »Was hast du?« fragte sie.
    »Waren das nicht eben Schritte?«
    »Ach wo«, lachte sie, »Schnee ist von den Bäumen gefallen, weiter nichts.«
    Jürgen war nicht so ganz beruhigt. Das Geräusch knackender Äste – hatte er es nicht deutlich gehört? Oder war er schon so weit, daß er sich Geräusche einbildete?
    Weiter, dachte er. Wir müssen weiter gehen. Seine Armbanduhr zeigte ein paar Minuten nach zwölf. Bis zu den Bahngleisen war noch ein gutes Stück. Einen Personenzug konnte er nicht riskieren. Es mußte ein Güterzug sein. Der nächste Güterzug passierte um zwölf Uhr vierzig die Strecke.
    Am Himmel zogen Wolken auf. Das Wetter schlug um. Vernünftigerweise hätten sie jetzt umkehren müssen. Hoffentlich verlangte sie das nicht von ihm.
    »Sag mal, Jürgen«, begann Janine plötzlich, »wie hat eigentlich deine Frau ausgesehen?«
    Solche Fragen machten ihn immer wieder unsicher. Hatte nicht Spott aus ihrer Stimme gesprochen? Gab es da nicht einen Ton, der ihn warnen mußte?
    Jürgen zwang sich dazu, die Zweifel zu unterdrücken. Nur nicht schlapp machen. Nur jetzt die Nerven nicht verlieren.
    »Du hast eine gewisse Ähnlichkeit mit ihr«, antwortete er.
    »Hast du kein Bild von ihr?«
    »Nein. Bei mir habe ich keines.«
    »Wie alt war sie, als sie starb?«
    »Siebenundzwanzig.«
    »Hast du sie sehr geliebt?«
    »Ja.«
    Schweigend ging sie von da an neben ihm her. Er griff nach ihrer Hand, zog sie an seine Lippen, küßte die Fingerspitzen. »Jetzt liebe ich dich, Janine, und ich möchte mit dir ein neues Leben anfangen.«
    »Du kennst mich gar nicht«, sagte sie leise, und er sah Tränen in ihren Wimpern hängen.
    »Doch, ich kenne dich.« Er schrie es fast, und er erschrak über seine eigene Stimme.
    Als er nach einer letzten Wegbiegung vor sich die Bahngleise auftauchen sah, würgte ihn die Angst. Übelkeit stieg in ihm hoch. Es war ihm, als wiche das Blut aus seinen Adern. Die Bäume hatten plötzlich Gesichter, glotzten ihn an.
    Alles verschwor sich gegen ihn. Drohende Wolken ballten sich zusammen. Wind kam auf. Ein Rabe krächzte, ein anderer antwortete. Jetzt sah er die Totenvögel auch sitzen, zwanzig oder dreißig, entlang den Telegraphendrähten.
    »Du, ich habe plötzlich Angst«, sagte Janine.
    »Vor was denn?« knirschte er und lachte laut dazu. Mit diesem Lachen wollte er die Gespenster vertreiben, mit

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