Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)
Und? Es sei genau die, die nach der englischen Emigration mit ihrem zweiten Mann in die DDR gegangen wäre. Er habe sich mit ihr verabredet und nun könne er jemanden sprechen, der Philby persönlich kenne.
Als ich noch einmal in der Wohnung des Onkels war, verwirrt, widerstrebend, nahm ich einen staubigen Hefter aus einem Regal. Schlug ihn auf. Bleistiftnotizen zu dem Buch, das der Onkel immer über Kim Philby schreiben wollte. Sogar mit ihm korrespondiert hatte er, lange nachdem Philby in die Sowjetunion geflohen war, und an den eigentlich niemand herankam.
Ich lese:
»Er berichtete, daß er zu Philby brieflichen Kontakt hatte. Über die 1. Frau des Philby, die in der DDR lebt und mit der er sich über ihn unterhalten hatte, ist er an Philby herangekommen. Philby hat dann an Sch. einen sehr netten Brief geschrieben.«
Aus dem Buch ist nichts geworden. Den Hefter habe ich ins staubige Regal zurückgelegt.
Mit der Anzeige im Jahr 1974 hatte der Onkel den ersten Schritt getan. Zwar war das MfS nicht der MI5, trotzdem: »Mit dem Dr. Sch. Karlheinz wurde seitens unserer Diensteinheit so verblieben, daß wir bei evtl. Notwendigkeit nochmals zur Klärung des Sachverhaltes auf ihn zukommen.«
Er brauchte nur drei Tage zu warten. Morgens um 9 Uhr stand Major Salatzki in Begleitung von Leutnant Richter vor der Tür. Einer wird geklingelt haben. Der Onkel öffnete, vielleicht noch verschlafen.
Sie wollten mit ihm noch einmal über die Aussage sprechen, sagten sie.
Und dann redeten sie, eineinhalb Stunden, über das, was der Onkel über die Schleusung wusste, über die daran beteiligten Personen und über Bekannte und Freunde des Onkels.
Der Onkel sagte, er wundere sich, dass das Gespräch in seiner Wohnung geführt werde. Es sei ihm unklar, warum sie zu ihm kämen, wo doch das Gebäude der Staatssicherheit genügend Räume für Gespräche biete.
Salatzki sagte, freitags herrsche für gewöhnlich viel Publikumsverkehr. Das Gebäude sei zwar nicht klein, doch nicht alle Räume seien für Besuche eingerichtet. Das könne sich der Onkel doch denken.
Der Onkel sagte, das könne er sich denken.
Salatzki sagte, bei weiteren Fragen bei den jetzt beginnenden Ermittlungen würden sie wieder auf ihn zukommen.
Der Onkel sagte, er sei einverstanden.
Salatzki sagte, eine Befragung seiner Bekannten werde wahrscheinlich durchgeführt. Eventuell auch anderer damit im Zusammenhang stehender Personen. Über dieses Gespräch habe der Onkel mit niemandem zu sprechen.
Der Onkel sagte, er werde über das Gespräch Stillschweigen bewahren.
»Bei dem geführten Gespräch, das in einer freundschaftlichen Tonart geführt wurde, versuchte der Sch. seine positive politische Überzeugung herauszustellen.«
Schon am 30. Mai bekam der Onkel wieder Besuch, wieder von Richter und Salatzki. Er erhielt die ersten Aufträge, ein Test. Ich lese: »Schädlich erklärte sich sofort bereit, diese Aufträge auszuführen und uns vom Inhalt der Gespräche zu unterrichten.« Und: »Er erhielt die Tel.-Nr. 592701, um jederzeit die Gen. Röder (Richter) bzw. Sagert (Salatzki) verständigen zu können.« Zum Abschied gab der Onkel seinen Besuchern ein Passbild seiner Freundin aus dem Westen. Er überließ nichts dem Zufall.
Ich lese über Kurt Salatzki, den Führungsoffizier des Onkels, sehe das Foto eines jungen Mannes aus den Fünfzigern. Ein weicher Mund, wenn auch ohne ein Lächeln, hohe Wangenknochen, nicht unattraktiv, wenn ich nicht wüsste, wer er ist. Ein intelligenter Mann, das sieht man. Ich blättere weiter, Jahrzehnte später wieder ein Foto. Angsteinflößend, bedrohlich blickt Salatzki mir entgegen. Die Jahre haben ihn gezeichnet, seine Arbeit hat sich ihm ins Gesicht geschrieben. Sein Leben – eine schnörkellose, steile Karriere vom Feldwebel bis zum Major, Referatsleiter der Hauptabteilung XX/2. Verdienstmedaillen und Orden, Geldprämien. Kurt Salatzki war einer, der Ausdauer hatte, zielstrebig war, ehrgeizig, autoritär. Der sich auszeichnete »durch unbedingten Willen zur ständigen Leistungssteigerung, Anpassungsfähigkeit und Geschick im Umgang mit den Genossen, Kameradschaftlichkeit«. Der Diplomkriminologie studierte. Der sich in seine Arbeit und seine Mitarbeiter einfühlte, der »ständig neue Ideen und Varianten […] und vor allem eine qualifizierte eigene Arbeit mit IM« entwickelte. »Dadurch und durch praktische Anleitung bei der Treffteilnahme und Werbung wirkt er im Kollektiv des Referats als Vorbild und fördert
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