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Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)

Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)

Titel: Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Schädlich
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die schöpferische Initiative seiner Mitarbeiter.«
    Operative Vorgänge wurden unter der Leitung von Salatzki nicht selten mit Inhaftierungen – »unter seiner Anleitung wurden im vergangenen Jahr einige Vorgänge liquidiert« – und mit »erfolgreichen Zersetzungsmaßnahmen unter feindlichen Kräften des politischen Untergrundes« abgeschlossen. Er machte von seiner Schusswaffe Gebrauch. Ich will nicht wissen, wie viele Kerben er im Holz hat. Die ganze Familie war beim MfS. Seine Frau in der Arbeitsgruppe des Ministers; seine Schwägerin in der HA Kader und Schulung, deren Mann war Hauptmann bei der HV-A als Referatsleiter, Salatzkis Söhne, der eine bei der Spionageabwehr, HA II, der andere in der Verwaltung Rückwärtige Dienste und der dritte, mein Jahrgang, in der HA XVIII, die zuständig war für die Sicherung der Volkswirtschaft. Und die Schwiegertochter in der Abt. N, Nachrichten, einer selbständigen Abteilung des MfS. Alle über jeden Zweifel erhaben, bis zum Schluss.

    Etwa neunzigtausend Hauptamtliche Mitarbeiter hat es zu DDR-Zeiten gegeben, die Hälfte davon in Berlin. Die Hochburg des Staatsicherheitsdienstes war in Hohenschönhausen. Dort war die Untersuchungshaftanstalt, von der Außenwelt hermetisch abgeschlossen, auf dem Ost-Berliner Stadtplan gar nicht eingezeichnet. Unweit davon, am Obersee, ein Villenviertel, in dem solche wie Spionagechef Markus Wolf, sein Nachfolger und stellvertretender Minister Werner Großmann oder Stasi-Oberst und Staatssekretär im Ministerium für Außenhandel Alexander Schalck-Golodkowski sich eingerichtet hatten, während im Gefängnis die Menschenrechte missachtet wurden. Auch Jürgen Fuchs, Gerulf Pannach und Christian Kunert saßen da. Lilo Fuchs erzählt: »Als sie nicht klein beigegeben haben bei den ersten Vernehmungen, wurde die U-Haft endlos verlängert. Sie wurden erpresst, bedroht, isoliert. Spitzel wurden ihnen in die Zelle gesetzt. Sie sagten, entweder Sie gehen sofort in den Westen oder Sie werden verurteilt. Dann nicht unter zehn Jahren. Sie sagten, wenn Sie nicht gehen, dann dürfen Pannach und Kunert nicht gehen und auch die anderen, die in Gera sitzen, kommen nicht raus.
    Wir Frauen wurden in Vogels Haus in der Reiler Straße bestellt. Dort wurden wir drei über den Sachverhalt informiert, dass eine Entscheidung falle, dass es möglich sei, die Männer in der Haft zu sprechen, es hinge von uns ab, ob wir in den Westen gingen oder in der DDR blieben. Es hieß: Aber Sie kennen ja Ihre Männer! Danach wurden wir von Vogel ins Gefängnis Magdalenenstraße gefahren. Die Männer waren von Hohenschönhausen dahin gebracht worden.
    Dort wurden wir getrennt, jede von uns Frauen ging in ein anderes Zimmer, und jede durfte unter Bewachung mit ihrem Mann sprechen. Vogel saß bei uns mit im Raum und zwei Leute vom MfS. Wir konnten also gar nicht frei miteinander reden. Jürgen konnte mir nichts von der Erpressung sagen, auch nicht von all den anderen Dingen, die ihm widerfahren waren. Das hat er mir erst im Westen erzählt. Jürgen sagte, unter den gegebenen Umständen habe er sich entschlossen, das Land jetzt zu verlassen. Ich konnte seinen Entschluss nur zur Kenntnis nehmen. Ich habe ihn angesehen, versuchte in seinem Gesicht zu lesen. Ich bin fast ohnmächtig geworden. Nur nicht flennen, dachte ich. Ich sagte nur einen Satz: Ich gehe dahin, wohin mein Mann geht.«

    Vor nicht allzu langer Zeit habe ich meinen älteren Sohn von einem Freund abgeholt. Es war noch Winter, schon dunkel. Je näher ich der Adresse kam, desto beklemmender wurde es. Die Laternen wiesen den Weg, Laternen wie Wachposten. Ich bog in eine Straße, fuhr an einer Mauer entlang, immer langsamer, parkte. Blieb sitzen, konnte kaum aussteigen. Das Haus der Familie direkt gegenüber der Gefängnismauer. Die Aussicht aus dem Garten Wachtürme. Gespenstisch. Aber das dort ist keine Geisterstadt. In den Plattenbauten und Einfamilienhäusern rundherum wohnen heute noch ehemalige Majore und Hauptleute. Salatzki hat sich eine bessere Adresse gesucht, wohnte zuletzt in Berlin-Friedrichsfelde. Dort ist er gestorben. So steht es im Mitteilungsblatt der »Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR e.V.«, kurz ISOR, einer dieser Vereine, in denen sich die SED-treuen Staatsdiener »vom Wachtmeister bis zum General«, zusammenrotten. Im Mitteilungsblatt von 2004 sehe ich den Namen Kurt Salatzki unter etlichen anderen

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