Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)
hätte er nie akzeptiert.
Und er wollte Salatzki beeindrucken.
Ich muss ein wenig ausholen:
Die Änderung des Strafgesetzbuches der DDR 1979 erlaubte die Inhaftierung von Autoren, die ihre Werke ohne Genehmigung im westlichen Ausland veröffentlichten. Bis dahin waren regimekritische Schriftsteller auf Grundlage der Währungsgesetze bestraft worden. Im Mai 1979 waren Robert Havemann und Stefan Heym, wegen erhaltener Zahlungen aus dem Ausland zu Geldstrafen verurteilt, noch glimpflich davongekommen, wenn man bedenkt, dass sie bis zu zwei Jahren Haft hätten erhalten können. In einem Interview mit westlichen Medien erklärte Heym, dass die Währungsgesetze der DDR in Wirklichkeit dazu dienten, die Meinungsfreiheit zu unterdrücken. Im Juni schloss der DDR-Schriftstellerverband unter dem Vorsitz von Hermann Kant neun Schriftsteller aus: Kurt Bartsch, Adolf Endler, Stefan Heym, Karl-Heinz Jakobs, Klaus Poche, Klaus Schlesinger, Rolf Schneider, Dieter Schubert und Joachim Seyppel. Fünf von ihnen hatten zusammen mit Jurek Becker, Martin Stade und Erich Loest die Anklage gegen Stefan Heym öffentlich kritisiert. Vorausgegangen war dem Ausschluss noch ein Brief von dem SED-treuen Schriftsteller Dieter Noll, der sich in einem »offenen Brief« an den DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker im Mai gegen die Schriftstellerkollegen Stefan Heym, Joachim Seyppel und Rolf Schneider gewandt und sie darin als »kaputte Typen« denunziert hatte, die mit dem »Klassenfeind kooperieren, um sich eine billige Geltung zu verschaffen«.
Gegen den Ausschluss der neun Autoren wurden Unterschriften für Protestbriefe an den Schriftstellerverband der DDR und an den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker gesammelt. Im Spätsommer bat Jutta Braband (heute Judith Braband), die mit Thomas Klein zu den Initiatoren gehörte, den Onkel – sie kannten sich schon einige Jahre –, sie zu Günter de Bruyn zu begleiten. Braband und Klein wollten dort über die Unterschriftenaktion vom Juni und den Entwurf eines neuerlichen Briefes an Hermann Kant informieren und um Unterstützung bitten.
Ich lese, dass am 19. August 1979 der Onkel zusammen mit Thomas Klein und Jutta Braband zu dem Schriftsteller nach Storkow fuhr. Während der Fahrt unterhielten sich die Hinfahrenden über den geplanten Besuch. Der Onkel las den Briefentwurf während der Fahrt. Gegen 10.30 Uhr klingelten sie bei de Bruyn.
Der Onkel: Ich bin der dringenden Bitte von Frau Braband nachgekommen, die eine wichtige Angelegenheit mit Ihnen besprechen möchte, von der ich selbst nicht informiert bin.
De Bruyn und seine Frau empfingen die unangemeldeten Gäste freundlich. Die Besucher verbrachten den Tag bei dem Schriftsteller, am Nachmittag ein Spaziergang in die Umgebung, Gespräche auch über Speisen, die Natur, Lebensart und Kunstgewerbe.
Auf der Heimfahrt sprach man über den Besuch, man sprach darüber, dass der Staatssicherheitsdienst bereits Wind von der Sache bekommen habe, weil schon einige der Akteure befragt worden seien. Braband und Klein waren sich sicher, dass es der Staatssicherheit bisher nicht gelungen sei, in ihren Kreis einzudringen. Der Onkel gab zu bedenken: Das MfS habe sehr große Erfahrungen und ausgeklügelte Mittel und Methoden, er würde es nicht so unterschätzen.
Am 20. August Treffen in »Bungalow« mit Oberstleutnant Kuschel, den der Onkel nur unter dem Namen Gutsche kannte, ein intelligenter Gesprächspartner, immer elegant, ganz wie der Onkel. Dreieinhalb Stunden dauerte das Gespräch. Ich lese: »Der IMV hatte den beim Treff am 17.8.79 erhaltenen Auftrag erfüllt. Er hatte den Sonntag geopfert, um im Interesse des MfS die Fahrt mit der Braband zum Kennenlernen deren weiteren Absichten nach Storkow durchzuführen.« Der Onkel gab den Inhalt des Briefentwurfes weiter: »Unter Bezugnahme auf den Brief vom Juni 1979 an den Schriftstellerverband wird mitgeteilt, daß in der Folge das MfS tätig geworden sei und einige der Unterzeichner des Briefes Befragungen unterzogen hätte.
Es wird von Hermann Kant um Beantwortung der Frage gebeten, ob der Brief vom Juni 1979 vom Schriftstellerverband an das MfS weitergeleitet wurde und sofern das der Fall sei, werde eine Stellungnahme zu dieser Handlungsweise erbeten.
Es wird in dem Brief dann generell die Frage aufgeworfen, wieso Diskussionen über eine öffentlich interessierende Angelegenheit, wie es der Ausschluß prominenter Schriftsteller aus dem Verband sei, Gegenstand der Arbeit der Sicherheitsorgane
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