Immer wieder Dezember: Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich (German Edition)
sein könne und Unverständnis zum Ausdruck gebracht, wieso dadurch die Sicherheit der DDR beeinträchtigt werde könne.«
Der Onkel beantwortete Fragen. Ich lese: »Auf die Frage an den IM, welcher evtl. der nächste Schriftsteller sein könne, den die Bande einbeziehen wolle, meinte der IM einschätzend, dass das vermutlich Plenzdorf sei.«
Am 11. September wurde dem Onkel mitgeteilt, dass Jutta Braband und Thomas Klein vom MfS verhaftet wurden.
Jutta Braband erzählt: »Dein Onkel hat übrigens auch unterschrieben, gleich zu Beginn. Wenige Tage später kam er händeringend an und bat uns, seine Unterschrift zu streichen. Heute würde man sagen, er hat als verdeckter Ermittler indirekt andere animiert, diesen Brief auch zu unterschreiben.«
Günter de Bruyn schrieb mir: »Ich habe Ihren Onkel als geistreichen, intelligenten, witzigen, ja charmanten Mann in Erinnerung, mit dem offen zu reden nicht schwerfiel. Ich hätte ihn nicht gerade zum Freund haben wollen, aber er gefiel mir, und misstraut habe ich ihm nicht. Entsprechend groß war später die Enttäuschung.«
1979 erhielt der Onkel die »Verdienstmedaille der NVA in Bronze«. Und so sah das aus:
»Es wird vorgeschlagen, den IMV ›Schäfer‹ mit der ›Verdienstmedaille der NVA in Bronze‹ auszuzeichnen.« Und die Begründung?
Der Onkel hatte durch seinen »persönlichen Einsatz einen wesentlichen Beitrag zum Abschluß eines Operativvorgangs geleistet«.
»Abschluss« bedeutete Inhaftierung.
Außerdem, so wurde gelobt, habe »›Schäfer‹ operativ wichtige Informationen aus dem politischen Untergrund erarbeitet«. Und dann bekam der Onkel seine Medaille: »In Anerkennung und Würdigung seiner hervorragenden Zusammenarbeit mit den Organen des Ministeriums für Staatssicherheit, besonders seines wesentlichen Beitrages zum Abschluß eines Vorganges v e r l e i h e i c h
Dr. Karlheinz Schädlich
die ›Verdienstmedaille der Nationalen Volksarmee in
B r o n z e‹
Mielke
Generaloberst«
Verlieh ihm diese »Auszeichnung« Flügel? Schickte er deshalb damals im Herbst 1979 seine Freunde zu uns nach West-Berlin? Ob sie ihm Antworten geben konnten auf seine Fragen, zum Beispiel wie unsere Wohnung aussah? Nicht sehr viel anders als in Köpenick und Hamburg, dieselben Möbel, dieselben Vorhänge, dieselben Lampen. Wer in der Wohnung aus und ein ging? Die »Ehemaligen« wie Sarah Kirsch, Jürgen Fuchs, Gerulf Pannach mit Gitarre, wenn er einfach nur so bei uns vorbeikam. Was die Mutter dachte? Sie war vorsichtig geworden, denn sie ahnte, dass sich etwas zusammenbraute, dass »ernsthafte Anstrengungen unternommen wurden, um H. J. Schädlich zur Rückkehr in die DDR zu bewegen«. Dass sich der Vater mit dem Gedanken trüge, zurückzukehren, hatte der Onkel seit geraumer Zeit verbreitet. Schon damals, im Juni 1978, hatte die Mutter, als ihr die Einreise in die DDR gelang, ihn damit konfrontiert. Wie hatte es in dem Bericht des Führungsoffiziers Salatzki noch geheißen? »Mit dem IM wurde nochmals beraten, unter welchen Voraussetzungen es möglich ist, weitgehend die Probleme seines Bruders in der BRD in Erfahrung zu bringen und dabei ständig mögliche Ansatzpunkte für eine spätere Rückkehr zu erkunden.«
Dazu brauchte der Onkel die Großmutter. Ihre Besuche wurden häufiger. Ich lese: »Durch ihre Besuche bei H.-J. Schädlich hatte die Mutter den Eindruck, daß der Schriftsteller Arendt einen gewissen Einfluß auf H.-J. Schädlich hat. Sie hatte deshalb die Idee, sich an A. zu wenden, um ihn zu bitten auf Sch. entsprechend einzuwirken. Da sie jedoch die Adresse von A. nicht hatte, wandte sie sich an die Mitarbeiterin des Verlages ›Volk u. Welt‹ – […]. Die gab der Mutter zu verstehen, daß es sich doch offensichtlich darum handelt, H.-J. Schädlich mit Hilfe von Arendt zurückzuholen. […] äußerte sich in diesem Zusammenhang, ›ich rate euch, laßt die Finger davon‹.«
Die Mutter beriet sich mit Jürgen Fuchs und Gerulf Pannach. Die Freunde waren der Überzeugung, dass es das Beste sei, wenn der Vater wegführe, zur Erholung in die Berge. Außer Reichweite. Ich lese: »Von dieser ›Mafia‹ wurde festgelegt, H.-J. Schädlich nach Oberstdorf (Allgäu) in eine psychiatrische Klinik zu schicken.«
Die Großmutter sagte es dem Onkel. Der Onkel musste schnell handeln. Über eine Bekannte stellte er einen Kontakt zu Klaus Höpcke her, er informierte Salatzki. Hätte der Onkel nicht über eine Bekannte den Kontakt zu Höpcke
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