Immorality Engine
kalt und beklemmend.
»Was haben wir nur getan?«, sagte Newbury, während er sich umsah.
Veronica geriet unterdessen in Panik. »Amelia!«, rief sie und eilte
an die Seite ihrer Schwester, packte sie an den Schultern und versuchte, sie
von dem Toten herunterzuziehen.
Zu ihrer Ãberraschung hob Amelia den Kopf und wandte sich
erschrocken an sie. »Veronica?« Es klang ungläubig. »Veronica? Was tust du
hier?«
Veronica lachte laut. Sie zog Amelia an sich und schloss sie fest in
die Arme. »Wir sind hier, um dich zu holen, wir holen dich heraus.«
Amelia schüttelte den Kopf. Sie zitterte am ganzen Körper, blickte
zu Newbury, dann wieder zu Veronica. Als sie endlich sprach, klang es zugleich
erleichtert und besorgt. »Woher hast du gewusst, dass sie kommen?«
Veronica rang sich ein beruhigendes Lächeln ab. »Dafür haben wir
später noch Zeit.« Sie betrachtete Amelias Nachthemd. Blut bedeckte nicht nur
den Stoff, sondern auch die Arme. »Bist du verletzt?«, fragte sie ängstlich.
»Nein. Es istâ⦠von jemand anders.«
Das erleichterte Veronica ungemein. Als ihr Blick auf den toten
Maschinenmann fiel, wäre sie fast erschrocken zurückgefahren. Er hatte so viele
dicke Narben im Gesicht, und unter ihm gerann bereits das Blut auf dem Teppich.
Fragend sah sie ihre Schwester an.
»Er hat mich gerettet«, erklärte Amelia leise. »Mister Calverton hat
mich vor Dr. Fabian gerettet.«
Veronica nickte. Es war zu viel, um es sofort zu verarbeiten. Ihre
Gedanken sprangen hin und her, während sie sich überlegte, was sie nun tun
sollte. Ihr Plan hatte sich darauf beschränkt, in das Gebäude einzudringen und
ihre Schwester zu finden, ehe es zu spät war. Ãber die Frage, wie sie
hinausgelangen konnten, hatte sie noch nicht nachgedacht.
»Kannst du gehen?«, fragte sie Amelia unvermittelt.
Die jüngere Frau schüttelte den Kopf. »Nein. Nicht sehr gut.«
Als Glas splitterte, hoben beide die Köpfe. Newbury stand vor den
Trümmern der Terrassentür und stellte gerade den kleinen Tisch, mit dem er sie
zerstört hatte, auf einen Haufen Glasscherben. Dann nahm er eine umgestürzte
Stehlampe und entfernte die restlichen gläsernen Dolche aus dem Rahmen. So
konnten sie fliehen.
Veronica blickte zum Garten hinaus, wo viele Büsche und Bäume
brannten. Der Rasen war von Kratern und aufgeworfener Erde verunstaltet,
nachdem einige Brandbomben über das Haus hinweggeflogen waren. Dort drauÃen
liefen sie Gefahr, von den berittenen Schützen erwischt oder von den Granaten,
die unablässig herabregneten, zerfetzt zu werden, aber es war immer noch der beste Fluchtweg, den es überhaupt gab. Selbst wenn
die Vorderfront noch stand, würde man sie dort sofort niedermähen. Hier, auf
der Rückseite, konnten sie hoffentlich bis zu den schützenden Bäumen rennen und
versuchen, von dort aus die Flucht fortzusetzen. Es war ein Risiko, aber im
Grunde nur ein weiteres an einem Tag voller
Gefahren. Ihnen blieb nichts anderes übrig. Wenn sie im Haus ausharrten, waren
sie schon so gut wie tot.
Veronica betrachtete Amelias aus Korbweide geflochtenen Rollstuhl.
Sie konnten ihn nicht mitnehmen, weil er sie zu sehr behinderte und zu
auffällig war, aber er brachte sie auf eine Idee. Sie richtete sich auf. »Bleib
hier«, sagte sie zu Amelia.
Newbury wandte sich neugierig an sie und lieà die Stehlampe mit
lautem Krachen fallen. »Was haben Sie vor?«
»Vertrauen Sie mir. Ich bin gleich wieder da.« Newburys Protesten
zum Trotz lief sie zur Tür.
DrauÃen auf dem Flur suchte sie nach ihrer verlorenen Jacke, die
jedoch schon den Flammen zum Opfer gefallen war. Der Rauch brannte in den
Augen, und die Hitze war wie eine unüberwindliche Wand. Im ersten Augenblick
dachte sie daran, umzukehren, aber dann riss sie sich zusammen. Sie musste es
tun, sie musste ihre Schwester retten. Es reichte nicht, einfach aus dem Haus
zu verschwinden. In ein paar Tagen, wenn alles vorüber wäre, würden viele Leute
die Trümmer durchsuchen und aufklären, was sich ereignet hatte. Veronica wollte
dafür sorgen, dass Amelia hier in diesem Zimmer neben Dr. Fabian tot im
Rollstuhl aufgefunden wurde. Oder wenigstens sollte jemand gefunden werden, den
alle für Amelia hielten. Danach würde niemand mehr nach ihrer Schwester suchen.
Es war klar, dass die Queen von den
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