Immorality Engine
wollten. Winzige Kolben pumpten, während die Nadeln in ihren Körper
eindrangen. Sie hörte das leise Zischen, als die Luft entwich. Dr. Fabian sagte
etwas mit seiner monotonen Stimme, die gespenstisch durch den Raum hallte, doch
sie konnte die Worte nicht verstehen. Sie nahm nur noch die Schmerzen wahr,
hörte sich selbst schreien und wurde von einem grellen weiÃen Licht geblendet,
das sie daran hinderte, die Vorgänge zu verfolgen.
Eine Nadel bohrte sich in ihre Kehle, etwas Warmes strömte durch
ihren Körper. Wieder bäumte sie sich auf dem Behandlungsstuhl auf. Einen Moment
später wurde sie ganz still.
6
Sie trafen erst am späten Vormittag am Piccadilly Circus
ein. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, und der Platz wimmelte vor Menschen.
Bainbridge, Newbury und Veronica stiegen aus der Droschke â es war eines der grässlichen neuen Fahrzeuge, die mit Dampf
betrieben wurden und die Veronica so sehr hasste â und wollten über die
Shaftesbury Avenue zu Fuà zur Regent Street gehen.
Kaum dass sie drauÃen standen, erkannte Veronica ihren Fehler. Im
Gedränge der Touristen, Arbeiter, Kauflustigen und Bettler wurde sie hin und
her gestoÃen. Der Platz war mit Menschen überfüllt. Sie hielt die Handtasche
eisern fest, denn sie wusste, dass es hier auch vor Taschendieben wimmelte.
Newbury kämpfte sich durch das
Gedränge, bis er an ihrer Seite stand, nahm sie am Arm und bugsierte sie
aus dem Auflauf heraus. Bainbridge folgte den beiden und benutzte den Gehstock,
um vor sich die Menge zu teilen wie Moses das Rote Meer. Veronica lachte über den Chief Inspector, der sich mit versteinertem
Gesicht einen Weg durch den morgendlichen Menschenauflauf bahnte und die
Leute knuffte, damit sie ihn passieren lieÃen.
Dann wurde ihr bewusst, dass Newbury ihre Aufmerksamkeit zu erregen
suchte. Er beugte sich zu ihr und sprach laut genug, damit sie ihn trotz des
Lärms verstehen konnte. »Haben Sie ihn schon gesehen?«
»Wen denn?«
»Den Tatort. Die Wohnung, wo sich gestern Abend der Einbruch
ereignet hat.«
Veronica schüttelte den Kopf. Bainbridge hatte sie am Morgen in
ihrer Wohnung in Kensington aufgesucht, und anschlieÃend waren sie direkt zu
Newbury gefahren. Sie wusste nur das, was auch ihm bekannt war. Anscheinend
wiesen die Spuren am Tatort auf Sykes als Täter hin. »Nein, ich habe ihn noch
nicht gesehen. Warum?«
Newbury zuckte mit den Achseln und sagte nichts weiter. Sie fragte
sich, ob es eine Art Prüfung gewesen war, und konnte natürlich nicht
feststellen, ob sie bestanden hatte oder nicht, denn Newbury klärte sie nicht
weiter auf. Vermutete er vielleicht, sie habe den Tatort bereits ohne ihn mit
Bainbridge besichtigt? Löste das Rauschgift jetzt auch noch eine Paranoia bei
ihm aus? Sie spielte mit dem Gedanken nachzubohren, doch er hatte sich schon wieder
abgewandt, richtete die Aufmerksamkeit auf die Menge und zog sie auf der belebten
StraÃe hinter sich her.
Das Gedränge auf dem Piccadilly Circus war ungewöhnlich groÃ, die
Schaulustigen konnten sich kaum bewegen. Veronica wollte herausfinden, was ihre
Aufmerksamkeit so fesselte, sah aber nichts auÃer den Hinterköpfen und
erhaschte höchstens einmal einen kurzen Blick auf etwas Helles, offenbar aus
Messing, das in der Mittagssonne glänzte.
Als die Zuschauer in den vorderen Reihen Jubelrufe ausstieÃen, zuckte
Newbury zusammen. Er hatte sich bei ihr eingehakt, und sie hielt sich an ihm
fest, um ihn in diesem Durcheinander nicht zu verlieren. Wenigstens redete sie
es sich ein, als sie sich ein wenig näher an ihn drängte.
Newbury verrenkte sich unterdessen den Hals, um über die Leute vor
ihm hinwegzuspähen. »Es ist eine Art Vorführung«, erklärte er, ehe er sich
weiter nach vorn drängte.
Wieder erhoben sich Jubelrufe. Veronica wich einem Mann aus, der
begeistert beide Arme schwenkte, und bekam dabei einen Ellenbogen in die
Rippen. Die Schuldige â ein höchstens zehn Jahre altes Mädchen â
schoss sofort davon und zwängte sich zwischen den Beinen der Erwachsenen
hindurch. Veronica überprüfte ihre Handtasche. Glücklicherweise schien nichts
zu fehlen.
Als sie sich kurz über die Schulter umblickte, entdeckte sie
Bainbridge, der sich resolut einen Weg bahnte und mit grimmiger Miene mühelos
mit ihr und Newbury Schritt hielt. Immer wieder wurde sie von links und
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