Immorality Engine
verletzt
werden. Wenn Sie sich freundlich zeigen, wird man Ihnen umgekehrt mit
Freundlichkeit begegnen. Ich bin sicher, dass Sie schon davon gehört haben, man
solle den Nächsten so gut behandeln, wie man selbst behandelt werden will.«
Veronica nickte. »Ja, aber wo kommt der Ãbergang ins Spiel?«
Newbury schnalzte mit der Zunge. »Dr. Fabian erwähnte, es gehe um
karmische Schuld, und er habe Graves die Mittel an die Hand gegeben, diese bizarren Rituale zu vollziehen. Vielleicht zielen die
Rituale darauf, den Doppelgängern Schmerzen zuzufügen, um dem karmischen
Ausgleich zu entgehen. Vielleicht hoffen sie, unbehelligt zu bleiben, wenn ihre
Kopien schrecklich leiden.« Er hielt inne und seufzte traurig. Sie schmiegte
sich weiter an ihn und weigerte sich, die baumelnden Toten zu betrachten. »Wenn
ich damit recht habe, dann haben sie tatsächlich schreckliche Gräueltaten
begangen, während sie sich auf diese Weise bemüht haben, der Abrechnung zu
entgehen. Zweifellos haben sie überkompensiert.«
»Hiermit
haben wir gewissermaÃen einen Trumpf in der Hinterhand.« Die Stimme
dröhnte in dem groÃen Raum. Veronica erkannte die Ãberheblichkeit und
Affektiertheit schon beim ersten Wort. Enoch Graves. Die Schritte hallten auf
dem gefliesten Boden, als er sich ihnen voller Selbstvertrauen näherte. »Sie
haben es ganz gut erfasst, Newbury. Ich muss zugeben, dass ich sehr beeindruckt
bin. Eine wirklich gute Leistung! Nur eine Sache haben Sie missverstandenââ¦Â« Er
hielt inne, als er sie endlich vor sich sah und einen verstümmelten toten
Kollegen zur Seite schob. »Diese Körper haben nie gelebt. Wir sind keine
Ungeheuer. Die Maschine stellt Kopien her, das ist richtig, aber sie gibt ihnen
nie den Lebensfunken ein. Es sind nur tote Hüllen, die so aussehen, so riechen
und sich so anfühlen wie wir, aber sie haben kein Bewusstsein und spüren auch
keine Schmerzen.«
Graves stand nun vor ihnen, ganz
der Gentleman mit grauem Anzug und Melone. Er musterte die Eindringlinge genau.
Veronica hatte sich zu ihm umgedreht und beäugte ihn jetzt besorgt, weil sie
nicht einschätzen konnte, was er weiter tun würde. Sagte er die Wahrheit? Und
wenn ja, was geschah dann im Grayling Institute mit Amelia? Jene Kopien waren
ganz sicher keine toten Hülsen.
»Wie kann denn dann die Ãbertragung wirken?« Veronica stand immer
noch vor Newbury, der sie festhielt. Sie bemerkte jedoch, dass die Hand, die Graves nicht sehen konnte, zur Hosentasche wanderte.
Er griff nach dem Revolver. »Wenn sie keine Schmerzen
fühlen, wird die karmische Schuld nicht beglichen. Es ist alles
umsonst.«
Graves zuckte mit den Schultern. »Ich denke, wir werden erst im
nächsten Leben herausfinden, wer hier
richtigliegt«, entgegnete er höhnisch lächelnd. Er streckte die Arme
aus, als wollte er sie herzlich begrüÃen. »Oh, es ist wirklich schön, Besuch zu
haben. Sie haben uns so viel Mühe erspart, da sie hierhergekommen sind. Ich
wollte sowieso jemanden schicken, der Sie tötet, Newbury, aber das ist jetzt
nicht mehr nötig. Nur schade, dass Sie nicht auch gleich Sir Charles
mitgebracht haben. Wir mussten uns gesondert um ihn kümmern.«
Veronica spürte, wie Newbury sich
ein wenig aufrichtete, und machte sich auf den Angriff gefasst. Wenn sie für
eine Ablenkung sorgen konnteââ¦
Sie stürmte los, hob den Arm und wollte Graves einen Kinnhaken
versetzen. Er bemerkte es rechtzeitig und war bereit, wehrte sich mit einem
brutalen Hieb und streckte sie zu Boden.
Damit hatte sie ihn jedoch lange genug von Newbury abgelenkt. Der
Agent hob den rechten Arm, zielte mit dem Revolver auf Graves und spannte die
Waffe mit dem Daumen. »Was haben Sie mit Charles getan? Wo ist er jetzt?«
Veronica behielt Graves genau im Auge, als sie sich aufrappelte.
Ihre Hände schmerzten, nachdem sie den Sturz auf die Fliesen abgefangen hatte.
Graves dagegen beobachtete Newbury und die Waffe. Er ignorierte
Veronica und tat so, als wäre nichts
geschehen. Er schüttelte den Kopf. »Das weià ich wirklich nicht,
Newbury. Ich möchte wetten, dass er jetzt in hundert Stückchen zerfetzt ist,
weil er auf dem Weg zum Palast in die Luft geflogen ist. Aber da meine Männer
noch nicht zurückgekehrt sind, kann ich Ihre Frage nicht beantworten. Das entspricht
ganz und gar der Wahrheit.« Veronica schöpfte neue
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