Immorality Engine

Hoffnung. Vielleicht war
Charles ihnen doch entgangen oder hatte sie sogar besiegt. Sie wünschte inbrünstig, dass es so abgelaufen war.
    Unterdessen verhärtete sich Newburys Gesicht. Er ging nicht auf Graves’ Geplänkel ein. »Ich bin nicht
eben geneigt, glimpflich mit Ihnen zu verfahren, Graves.« Drohend fuchtelte er
mit der Waffe herum, der Finger lag schon am Abzug. Veronica fragte sich, was
er vorhatte. Es sah ihm überhaupt nicht ähnlich, einen Menschen kaltblütig zu
töten. Nicht einmal dann, wenn der Betreffende seinen besten Freund ermordet
hatte. Doch das Funkeln in den Augen ließ das Schlimmste ahnen. Vielleicht war
Newbury der Ansicht, dass er in diesem Fall die karmische Waagschale zu seinen
Ungunsten verschieben musste.
    Auf einmal gab es eine schnelle Bewegung. Newbury krümmte sich mit
vor Schmerzen verzerrtem Gesicht, und die Waffe fiel laut klappernd ein paar
Schritte entfernt auf den Boden. Veronica konnte sich nicht recht erklären, was
passiert war, bis sie den Degen in Graves’ Hand entdeckte und mit zunehmendem
Entsetzen erkannte, dass es ihm gelungen war, blitzschnell blankzuziehen und
Newbury zu entwaffnen.
    Auf einmal trat Graves vor und drückte die Spitze des Degens auf
Newburys Jackett. Er machte Ernst, die Unbekümmertheit war völlig verschwunden.
»Und nun, Sir Maurice«, sagte er scheinbar völlig gelassen, »ist es wohl an der
Zeit, dass Sie und ich uns zusammensetzen und wie Gentlemen über die
Angelegenheit reden.«

19
    Â»Sagen Sie mir, was hat
Edwin Sykes eigentlich getan, dass er sich Ihren Zorn zugezogen hat? War es die
Tatsache, dass er Sie bestohlen hat? Oder lag es daran, dass er Ihrer seltsamen
kleinen Gesellschaft unerwünschte Aufmerksamkeit verschafft hat?«
    Newbury saß in einem mit Fliesen ausgelegten Raum an einem großen
runden Tisch gegenüber von Enoch Graves. Das Zimmer war wie ein
mittelalterlicher Thronraum ausgestattet. An den Wänden hingen riesige
Wandteppiche, in eisernen Leuchtern zu beiden Seiten von Graves’ reich
geschmücktem Sitz steckten mächtige Kerzen. Der Tisch bestand aus glattem,
glänzend poliertem Mahagoni, in das mit Ebenholz und Gold die Tierkreiszeichen
eingearbeitet waren. Mitten auf dem Tisch war in einem stilisierten Efeukranz ein
prächtiger Pokal abgebildet, den Newbury für den Heiligen Gral hielt.
    Newbury musste lächeln, denn Graves versuchte tatsächlich, mitten in
London seine Idealvorstellung von Camelot zu verwirklichen. Er selbst bildete
natürlich den Mittelpunkt, wie er selbstherrlich dort auf seinem goldenen Thron
saß. Auf Newbury wirkte er allerdings lächerlich, weil der Präsident von seinem
wuchtigen, schimmernden Sitz überstrahlt wurde.
    Hinter Newbury standen zwei Mann Wache. Sie trugen die grauen Anzüge
und Melonen der Bastion Society und waren mit Schwertern und Pistolen
bewaffnet. Zwei weitere hatten Veronica zu einer Gefängniszelle begleitet, wo
ihr, wie Graves versichert hatte, zumindest vorläufig nichts passieren würde.
Newbury nahm an, dass es vor allem davon abhing,
wie sich das bevorstehende Gespräch entwickelte. Es war keineswegs
auszuschließen, dass Graves doch noch versuchen würde, Veronicas Wohlbefinden
als Druckmittel einzusetzen, um das zu bekommen, was er wollte.
    Um Charles machte er sich unterdessen große Sorgen. Sein Freund
konnte sich zwar jederzeit gut behaupten, aber wenn Graves wirklich Männer mit
Sprengstoff auf ihn angesetzt hatte, dann war der Chief Inspector zweifellos
ins Hintertreffen geraten. Schlimmstenfalls war Charles bereits tot – Newbury
schauderte schon bei dem bloßen Gedanken –, und dann musste Graves mit dem
Leben dafür bezahlen. Noch mehr als das. Ja, noch mehr als das. Newbury nahm
sich vor, auch seine Seele zur Rechenschaft zu ziehen.
    Es war jedoch klar, dass der Präsident ihn noch nicht umbringen
wollte. Wäre das seine Absicht gewesen, dann hätte er die beiden Eindringlinge
in dem Totenzimmer mit dem Degen aufspießen können,
als sich ihm die Gelegenheit geboten hatte. Nein, er wollte auf etwas anderes
hinaus. Newbury war noch nicht sicher, was es war, rechnete aber damit, es bald
herauszufinden.
    Graves beugte sich auf seinem Thron vor und starrte Newbury über den Tisch an. »Sykes?« Er lachte und winkte geringschätzig. »Sykes? Ach ja …
vermutlich hätte ich ihn aus den Gründen,