Immorality Engine
dampfbetriebenen
Baggern ausgehoben hatte. Die Seuche fraà sich nach wie vor durch die
Elendsviertel, jeden Tag fielen ihr Hunderte Menschen zum Opfer. So waren die
Erdarbeiter stark beschäftigt und gruben Löcher in die Landschaft, um die
stetig wachsenden Leichenhaufen unterzubringen.
Veronica riss sich vom Anblick der aufgetürmten Schädel los. Newbury
war längst weiter. Ein Stück den Gang hinunter fand sie ihn in einem kleinen
Raum, der keine Tür hatte. Anscheinend hatte auch er früher als Grabstätte
gedient. Sie duckte sich unter dem Türsturz durch und trat ein. Sofort schlug
ihr ein trockener, staubiger Geruch von Verfall und Verwesung entgegen.
Angewidert rümpfte sie die Nase.
Eine nackte elektrische Birne
versorgte den Raum mit hellem Licht. Vom Tunnel führte eine Stromleitung
herein, die sich über den Boden ringelte. Anscheinend stand der Generator
weiter entfernt in dem Komplex, vermutlich in der Nähe der Waffenfabrik.
Die Wände waren mit
Risszeichnungen und Karten bedeckt, die offenbar den Grundriss eines groÃen
Gebäudes zeigten. Andere waren mitten im Raum auf einem Tisch ausgebreitet.
Newbury betrachtete sie gerade voller Interesse. Veronica gesellte sich
zu ihm. Mit blauer Tinte hatte jemand dicke Striche und Kästchen auf die Karten
gemalt und in roter Farbe einige Notizen dazugekritzelt.
»Die Angriffspläne für den Palast«, sagte sie. Dies war also die
verborgene Einsatzzentrale, wo sie den Angriff auf die Königin planten.
Newbury schüttelte jedoch den Kopf und tippte auf die
Risszeichnungen. »Nein. Sehen Sie es sich noch einmal an.«
Veronica runzelte die Stirn, tat aber, was er ihr empfohlen hatte,
und sah genauer hin. »Das ist ja gar nicht der Palast!«, sagte sie gleich
danach.
Newbury lächelte. »Richtig. Es ist das Grayling Institute.«
Veronica wusste nicht, was sie
davon halten sollte. »Das Grayling Institute? Sind Sie sicher?« Wieder
betrachtete sie die Pläne. Er hatte recht. »Glauben Sie, dass auch dort ein
Angriff geplant ist?« Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Ging es tatsächlich um
mehr als ein Ziel? Plante die Bastion Society einen umfassenden Feldzug gegen
die Krone?
Newbury sah sie an. »Nicht ganz.
Ich glaube, Enoch Graves ist ein
erheblich besserer Taktiker als ein Ritter des Mittelalters. Ich glaube, sie werden
das Grayling Institute anstelle des Palasts stürmen.« Er lächelte und dachte
noch einmal über seine eigenen Worte nach. »Oh, das ist raffiniertââ¦Â«
»Warten Sie mal, warum gehen sie lieber gegen das Grayling Institute
als gegen den Palast vor?« Veronica war sichtlich verwirrt.
»Weil alle mit einem Angriff auf den Palast rechnen. Erkennen Sie es
nicht? Der Eindringling war nur ein Ablenkungsmanöver. Sie haben das ganze
Szenario nur aufgebaut, um dafür zu sorgen, dass die Queen nicht bemerkt, was
anderswo geschieht. Sie ist so sehr damit beschäftigt, den Palast abzusichern,
dass sie keinen Gedanken darauf verschwendet, es könnte noch ein anderes Ziel
geben.« Er war jetzt ganz bei der Sache und zog die Schlussfolgerungen mit
einem Tempo, bei dem sie nicht mithalten konnte.
»Aber was erreichen sie damit? Ich verstehe es immer noch nicht.
Wenn sie die Queen ausschalten wollen, nützt es ihnen doch nichts, das Grayling
Institute anzugreifen.«
Newbury lachte. »Fabian. Fabian ist der Schlüssel.« Er bebte förmlich vor Tatkraft, als er den Tisch
umrundete. »Fabian ist der Leibarzt der Queen und dafür verantwortlich, sie am
Leben zu halten. Er ist der Einzige, der die Maschinen, die ihr Leben behüten,
wirklich versteht, und die Bastion Society hat mit ihm sowieso ein Hühnchen zu
rupfen.«
Jetzt erkannte Veronica es auch. »Wenn sie Fabian töten und seine
Werkstatt zerstören, muss die Queen so oder so sterben. Es gibt dann niemanden
mehr, der ihre Maschinen warten kann.«
»Exakt.« Newbury rieb sich nachdenklich über das Kinn. »Sie wollen
die Queen nicht selbst umbringen. Das ginge einen Schritt zu weit, und es wäre
auch nicht sehr ritterlich. Aber sie wollen ihrem verlängerten Leben ein Ende
setzen. Sie soll ohne Einwirkung von auÃen eines natürlichen Todes sterben.
Indem sie Fabian aus der Gleichung herausnehmen, erreichen sie ihr Ziel auf
indirektem Weg und rächen sich zugleich an dem Mann, der sie betrogen hat. Das
ist
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