Immortal Guardians: Dunkler Zorn (German Edition)
geworden.« Marcus strich ihr mit dem Daumen über den Handrücken, wobei er wieder einmal über die Zartheit ihrer Haut staunte. »Der Graf von Fosterly war für seine Zeit ein sehr ungewöhnlicher Mann. Obwohl er mächtig war und von vielen gefürchtet wurde, hatte er ein gutes Herz. Als ich halb verhungert in seine Burg getaumelt kam, warf er einen Blick auf mein zerschrammtes, geschwollenes Gesicht und akzeptierte mich dann als seinen neuen Knappen. Er behandelte mich wie einen lange verloren geglaubten Verwandten. Ich liebte ihn wie einen Bruder und war sein größter Bewunderer.«
Lächelnd drückte sie seine Hand.
»Als ich ungefähr … ja, ich muss ungefähr sechzehn gewesen sein … gab es ein paar Probleme mit einem Feind, und Robert ritt fort, um mit ein paar benachbarten Adligen zu verhandeln, weil er wissen wollte, ob sie dieselben Probleme hatten. Als er nach Hause zurückkehrte, hatte er eine Frau bei sich. Sie ritt direkt vor ihm und trug Jeans, ein ärmelloses Hemd und eine seiner überzähligen Tuniken.«
Sie legte den Kopf schräg. »Vor achthundert Jahren trugen die Frauen Jeans?«
Diese Zwischenfrage warf noch mehr Fragen auf, was ihre Herkunft betraf. Selbst Menschen, die niemals ein Buch aufschlugen, wussten, dass man im Mittelalter völlig andere Kleidung getragen hatte.
»Nein«, antwortete er. »Die Jeans wurde erst im neunzehnten Jahrhundert erfunden. Bethany war achthundert Jahre in der Zeit zurückgereist.«
Ihre Augen wurden groß. »Ich dachte, dass Zeitreisen hier bislang noch nicht möglich wären.«
Hier? Woanders aber schon? Was meint sie damit? , fragte er sich. »Sind sie auch nicht. Das heißt, Seth bildet eine Ausnahme, soweit ich informiert bin.«
»Hat Seth Bethany in der Zeit zurückgeschickt? Wie –?«
Er hob die Hand. »Das ist eine lange Geschichte, und unser Abendessen ist fast fertig, deshalb komme ich jetzt lieber zum Punkt. Ich verliebte mich damals Hals über Kopf in Bethany. Aber für sie war ich so etwas wie ein jüngerer Bruder.«
Ami schnitt eine anteilnehmende Grimasse.
»Beth verliebte sich in Robert, der dasselbe für sie empfand. Die beiden heirateten. Da sie mir sehr viel bedeuteten und ich wusste, dass sie zusammengehörten, erzählte ich keinem von beiden von meinen Gefühlen.«
Sie schwieg einen Moment lang. »Dann ist Robert der Mann, der so häufig auf den Bildern zu sehen ist.«
»Ja.«
Ihre Augen strahlten plötzlich. »Und der Teenager, der auf den älteren Porträts auftaucht, das bist du?«
Er nickte verlegen.
Sie lächelte. »Du hast schon als Jugendlicher toll ausgesehen.«
Dieses Kompliment munterte ihn derart auf, dass der Junge, der immer noch in seiner Erinnerung lebte, den Kopf hob und begeistert ausrief: Sie findet, dass ich toll aussehe! Sie findet, dass ich toll aussehe!
Es war nicht zu leugnen, er war in ernsthaften Schwierigkeiten.
»Die Spaghetti sind fertig.« Marcus erhob sich und ging in die Küche.
Ami folgte ihm. Während er das Spaghettiwasser abgoss und die Soße von der Herdplatte nahm, holte sie zwei Teller aus dem Küchenschrank. Als sie neben ihm stand, damit er ihren Teller mit Spaghetti füllte, knurrte ihr Magen laut.
Sie mussten grinsen.
»Das riecht gut«, sagte sie.
Belustigt lud Marcus ihren Teller genauso voll wie seinen. Bei einem Kampf gegen Vampire verbrannte man eine Menge Fett und Kalorien. Gegen einen gesunden Appetit war nichts einzuwenden. Und Amis Appetit konnte locker mit dem von Sarah mithalten, die – auch als sie noch ein Mensch gewesen war – schon genauso große Portionen wie Roland und Marcus verdrückt hatte.
Er fragte sich, ob Ami wohl noch mehr Bedürfnisse hatte, die eines Kriegers würdig waren, verfluchte sich aber im nächsten Moment schon wieder dafür, dass seine Gedanken in diese Richtung abdrifteten.
Als beide Teller mit dampfenden Spaghetti und duftender Soße beladen waren, trug Ami sie hinüber in das Esszimmer. Marcus folgte ihr mit dem Besteck, zwei Gläsern und einer Kanne grünen Tees.
Die nächsten Minuten verbrachten sie in kameradschaftlichem Schweigen, während sie hungrig aßen.
Trotz des Schweigens fühlte sich Marcus mit ihr nicht unbehaglich.
»Dann hast du also nie jemand anderes kennengelernt? Du hast nie dasselbe für eine andere Frau empfunden?«, fragte sie schließlich, als ihr schlimmster Hunger gestillt war.
Zumindest nicht bis jetzt. Ein beunruhigender Gedanke, den er sofort beiseitedrängte.
»Ich meine, du warst damals so jung«,
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