Immortalis
Der Botschafter und die libanesische Regierung würden ebenfalls hineingezogen werden. Wenn sie von Abu Barsans Ware erfahren und sie womöglich in die Hände bekommen sollten, würden sie vielleicht einen Austausch mit dem Hakim arrangieren, um Evelyn freizukaufen. Dann hätte der Hakim, was er wollte, und würde sich wieder in den Schatten zurückziehen – und für Corben bliebe nichts als Frust und tonnenweise Papierkram. Außerdem – wenn der Hakim nicht an Faruk herankommen könnte, oder wenn kein Austausch zustande käme, würde er ebenfalls verschwinden.
Deshalb kam ein Krankenhaus nicht in Frage.
In der Botschaft konnte er ihn auch nicht unterbringen. Dort gab es nicht die nötigen medizinischen Einrichtungen. Es wäre schlimm genug, wenn Faruk im Krankenhaus starb, aber wenn er in der Botschaft sterben sollte … Der Botschafter war ein grundsatztreuer, ehrenhafter Mann, der Faruks Anwesenheit nicht geheim halten würde – nicht vor dem Außenministerium und nicht vor den einheimischen Behörden. Faruks Tod auf amerikanischem Territorium würde einen Wirbel auslösen, der alles ruinieren würde.
Und Corben würde wieder nicht bekommen, was er wollte.
Wenn er es rational durchdachte, musste er zugeben, dass Faruk keinen weiteren Wert mehr für ihn hatte. Der Mann war nur zufällig in diese Geschichte hineingeraten, und jetzt, da Corben über Abu Barsan alles wusste, was Faruk wusste, war der Iraker überflüssig.
Mehr als überflüssig.
Er war eine Belastung.
Wie er es auch drehte und wendete – wenn er ihn in die Botschaft brächte, würde dabei nichts anderes herauskommen als viele Fragen, Hindernisse, Komplikationen und Ärger.
Eigentlich hatte er keine Wahl.
Er drehte sich zu Faruk um. Der verletzte Iraker sah aus wie ein misshandeltes Tier, zusammengekrümmt und blutüberströmt. Sein Gesicht glänzte von Schweiß, und im fahlen, diffusen Licht des Waldes sah er noch grauer aus. Er zitterte am ganzen Leib, und noch immer presste er die bebenden, blutverkrusteten Hände kraftlos auf die Wunde. Er starrte Corben mit angstvollem, leerem Blick an, konnte aber die Augen kaum noch offen halten.
Er öffnete die rissigen Lippen, um etwas zu sagen, aber Corben schnitt ihm mit einer ruhigen Handbewegung das Wort ab. Er beugte sich zu ihm hinüber und sagte: «Es tut mir leid.»
Faruk sah ihn matt und verständnislos an.
Corbens Arme schossen vor. Die eine Hand legte sich an Faruks Hinterkopf und hielt ihn fest. Die andere presste sich auf Faruks Gesicht und drückte Mund und Nase zu.
Faruk riss jäh die Augen auf, er fuchtelte mit den Armen, aber sie hatten keine Kraft mehr. Corben nahm die Hand von seinem Gesicht und schlug mit der Faust dicht neben die Wunde. Mit einem gedämpften Schmerzensschrei entwich die Luft aus Faruks Lunge, und er krümmte sich zusammen. Corben warf ihn gegen die Lehne und presste ihm wieder die Hand auf Mund und Nase. Faruk hustete und keuchte. Gurgelnde Geräusche kamen aus seiner Kehle, und seine Augen quollen fast aus den Höhlen, als er Corben in abgrundtiefem Entsetzen anstarrte. Corben verstärkte seinen Klammergriff, und er spürte, wie die Kräfte des Irakers versiegten, wie die letzten Lebensgeister aus dem zerschundenen Körper entwichen, bis der vergebliche Widerstand vollends brach.
46
Durch das Fenster ihres Zimmers in der Presseabteilung beobachtete Mia, wie der Pathfinder am Nebengebäude vorbei und weiter zum hinteren Teil des Geländes fuhr. Das Fenster an der Fahrerseite war heruntergelassen, und sie sah Corben, der den Offroader auf einen überdachten Parkplatz steuerte. Der Platz lag abseits des Hauptgebäudes – eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme gegen versteckte Bomben in den Fahrzeugen.
Sie sprang auf und spähte mit klopfendem Herzen hinaus zu dem Wagen. Wegen des Blickwinkels hatte sie nicht sehen können, ob jemand auf dem Beifahrersitz saß. Die Zeit erschien endlos, ehe Corben schließlich hinter der bunkerartigen Umfriedung hervorkam.
Mia war verzweifelt. Er war allein.
Schlimmer noch, es sah aus, als sei er über und über mit Blut beschmiert. Und wenn das nicht genügte – sein finsterer Gesichtsausdruck sagte alles.
Ihre Knie wurden weich. Sie ließ sich auf den Stuhl fallen, und tief in ihr zerbrach etwas.
Kein Faruk.
Keine Möglichkeit mehr, das Buch zu bekommen.
Nichts, was man gegen ihre Mutter eintauschen könnte.
Corben schloss die Augen und ließ Ströme von heißem Wasser über seine schmerzenden Glieder
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