Immortalis
Kirkwood drehte sich zu ihr um. «Lassen Sie mir eine Minute Zeit, ja? Ich will sicher sein, dass es keine Schwierigkeiten gibt.»
Mia nickte. Kirkwood ging mit dem Australier ins Haus und ließ sie draußen bei dem zweiten Söldner, einem Südafrikaner namens Hector, und Abu Barsans Begleiter. Beide Männer begrüßten sie mit einem knappen Kopfnicken – der Araber taxierte sie ein wenig unverhohlener als der Südafrikaner –, dann erinnerten sie sich an ihren Auftrag und konzentrierten sich auf die Straße und die umliegenden Häuser.
Die Stadt war inzwischen in die für den Nahen Osten typische Mittagsstarre versunken. Die Straße war ruhig, und nur wenige Leute gingen im Basar ein und aus. In einer schmalen, kopfsteingepflasterten Straße, über die sich behängte bunte Wäscheleinen spannten, spielten ein paar barfüßige Kinder Fußball. Mia sah zu, wie einer der Jungen den Ball mehrmals auf Füßen, Knien und Oberschenkeln springen ließ, bejubelt von seinen Freunden.
Kirkwoods Stimme riss sie aus ihrer Beobachtung. Er rief sie ins Haus. Durch die Tür gelangte sie geradewegs in einen großen Wohnraum, der einfach und sparsam eingerichtet war. Es roch nach Zigarettenrauch. Ihr australischer Begleiter war da, außerdem drei Araber, die alle rauchten.
«Das ist Abu Barsan.» Kirkwood deutete auf einen untersetzten Mann mit Dreifachkinn. Er hatte kohlschwarz gefärbtes Haar, einen mächtigen Schnurrbart in der gleichen Farbe und ein auffallendes Muttermal auf der linken Wange.
«Sehr erfreut.» Abu Barsan lächelte. Seine Zigarette klebte an der Unterlippe, als er ihr mit seinen großen, schweißfeuchten Pranken begeistert die Hand drückte. «Das ist kaak Mohsen.» Er benutzte das kurdische Wort für Bruder und deutete dabei auf einen älteren, zurückhaltenden Mann, der sich stumm verneigte. «Ein lieber Freund, der die Güte hatte, uns sehr kurzfristig sein Haus zur Verfügung zu stellen», fügte er vielsagend hinzu und warf einen Seitenblick auf Kirkwood, der diese Bemerkung mit einem dankbaren Kopfnicken quittierte. «Und mein Neffe Baschar», schloss der Iraker und wies auf einen jüngeren, dicken, frühzeitig kahl gewordenen Mann.
Mohsen reichte ihr das übliche Glas mit stark gezuckertem Tee. Sie nippte daran, dabei fiel ihr Blick auf das Waffenarsenal hinter den Männern. Auf einem Sideboard neben einer Tür, die in den hinteren Teil des Hauses führte, lagen zwei Gewehre. Abu Barsans Neffe hielt ein AK-47 in der Hand, und in seinem Gürtel steckte eine Pistole.
Kirkwoods silberfarbener Koffer lag auf einem Tisch in der Ecke; Bryan schien ihn im Auge zu behalten. Daneben standen auf dem Boden mehrere Holzkisten. Die Gegenstände darin waren in Beutel aus weichem Tuch verpackt.
Sie sah Kirkwood an. «Hat er das Buch?»
«Ah, das berühmte Buch.» Abu Barsan gluckste kehlig, und sein Bauch wippte im Takt dazu. «Ja, natürlich habe ich es. Hier.» Schwerfällig tappte er zum Tisch, nahm ein Paket in die Hand und hielt es mit wissendem Blick in die Höhe. «Das ist das Objekt der Begierde, ja?» Er schlug die schützende Umhüllung aus weichem Leder zurück und nahm stolz den Kodex heraus.
Selbst von der anderen Seite des Zimmers konnte Mia die Schlange erkennen. Der ganze Raum schien vor Erwartung zu vibrieren.
Abu Barsan legte das Buch mitten auf den Tisch. «Bitte», sagte er und winkte sie herüber. Kirkwood warf Mia einen Blick zu und trat dann beinahe ehrfurchtsvoll an den Tisch. Mia folgte ihm. Er wollte das Buch in die Hand nehmen, aber Abu Barsan legte gelassen seine Wurstfinger darauf und lächelte Kirkwood fragend an. Der nickte Bryan zu, und mit nervösem Flattern sah Mia, wie der Australier den Aktenkoffer nahm und dem händereibenden Abu Barsan überreichte.
Kirkwood nahm den Kodex in die Hand und hielt ihn hoch, damit sie ihn zusammen betrachten konnten.
Der Einband war in bemerkenswertem Zustand. Der Uroboros war säuberlich in das Leder geprägt, und seine Schuppen waren einzeln ausgearbeitet. Kirkwood sah Mia an; Aufregung lag in seinem Blick, als er das Buch vorsichtig aufschlug.
Unter dem Einbanddeckel war ein leeres Vorsatzblatt, wie es für diese Periode üblich war. Auf der Mitte der ersten Seite stand etwas in arabischer Neschi-Schrift.
Kaum hatte er die Worte gelesen, verzog er enttäuscht das Gesicht.
«Was ist?», fragte Mia.
«Es ist ein anderes Buch.» Er schüttelte bestürzt den Kopf. «Es heißt Kitab al Kayafa . Das Buch der Grundsätze.»
Eine
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