Immortalis
sich dem Gebäude deshalb vorsichtig genähert. Zu seiner Überraschung hatte es dort genauso ausgesehen wie am Tag zuvor, als er Evelyn gesucht hatte. Evelyns Name war in der Presse nicht gefallen. Das erklärte zwar die Abwesenheit von Reportern und Kamerateams, aber nicht das Fehlen zusätzlicher Sicherheitsmaßnahmen, und davon war keine Spur zu erkennen. Er hatte zwar gesehen, wie zwei Fuhud-Agenten das Gebäude betreten und nach etwa einer Stunde wieder verlassen hatten, aber ihm war trotzdem nicht wohl dabei, so einfach hineinzuspazieren, wie er es am Tag zuvor getan hatte. Lieber wartete er draußen. So konnte er sehen, wer kam, und vermied weitere unangenehme Überraschungen.
Seine Geduld machte sich bezahlt, als Evelyns elfenhafter Assistent Rames gegen Mittag endlich erschien.
Faruk ließ den Blick in beide Richtungen über den Weg schweifen. Er sah nichts Besorgniserregendes. Mit klopfendem Herzen trat er aus dem schützenden Schatten hervor und ging auf Rames zu.
Weniger als vier Straßen weiter klappte Omar sein Handy zu und spähte durch die Frontscheibe des marineblauen Mercedes. Der Verkehr auf der Rue Bliss war überraschend flüssig. Normalerweise war es ein Albtraum, sich durch diese immer noch von alten Straßenbahnschienen zerfurchte Straße zu schlängeln. Sie war zwei Meilen lang und führte am Universitätsgelände entlang. Die Mauer des Campus erstreckte sich am Gehweg auf der einen Seite, nur zweimal durch Einfahrtstore unterbrochen. Den Gehweg auf der anderen Seite säumten beliebte Cafés, Konditoreien und Eissalons. Die Kundschaft parkte ihre Autos in froher Sorglosigkeit in Zweier- und Dreierreihen, was in schöner Regelmäßigkeit zu Verkehrsstaus und gelegentlichen Prügeleien führte.
In diesem Fall war das Chaos nützlich. Es bot eine gute Tarnung für eine beiläufige Plauderei. Und deshalb war Omar gekommen.
Der freie Zugang zum Apartment der Frau war ihm verweigert worden. In dem Durcheinander, das daraufhin entstanden war, hatte er einen Mann verloren. Und das Schlimmste war: Der Hakim war darüber nicht erfreut.
Omar wusste, er würde die Scharte auswetzen müssen.
Er warf einen Blick in den Außenspiegel.
Mehrere Polizisten standen vor dem Eingang des Hobeisch-Polizeireviers.
Sein Kontakt verließ eben das Gebäude.
Der Mann schaute in seine Richtung die Straße herunter und sah den Mercedes. Omar grüßte mit einem diskreten, kaum sichtbaren Winken aus dem Seitenfenster. Das Frettchen sah es, nickte seinen Kollegen im Vorbeigehen lässig zu und kam zum Wagen.
Mia aß mit schwerem Herzen das Lamm-Schawarma-Sandwich auf, das sie auf dem Weg zum Apartment schnell gekauft hatten, und ging mit dem trägen Schritt einer Schlafwandlerin in die Küche ihrer neuen Bleibe. Noch immer hatte sie die Ereignisse, die sie hierhergeführt hatten, nicht verdaut.
Das Apartment hatte zwei Schlafzimmer, eins mehr, als Corben brauchte. Er war ledig und lebte allein, aber kleinere Wohnungen waren in Beirut schwer zu finden, und die Mieten waren relativ niedrig. Er hatte sie kurz herumgeführt und ihr alles gezeigt – Küche, Bad, Gästezimmer, frische Handtücher –, dann hatte er sie allein zurückgelassen und war in die Botschaft gefahren. In ein paar Stunden, hatte er gesagt, würde er wieder da sein.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, hier zu sein. Bei einem Mann zu wohnen, den sie kaum kannte. Nein, falsch: bei einem Mann, den sie überhaupt nicht kannte. Normalerweise – das heißt, angenommen, sie wäre hier gewesen, weil sie irgendeine Art von Beziehung zu ihm hätte oder weil sie sich für ihn interessierte – hätte sie sich die Zeit damit vertrieben, herumzustöbern, sich die Bücher in seinen Regalen anzusehen, die CDs neben seiner Stereoanlage, die Zeitschriften auf seinem Couchtisch. Altmodische Schnüffelei für Menschen ohne iPod und Myspace-Account, die alles verrieten, was man wissen musste. Vielleicht hätte sie sogar einen raschen Blick in seinen Kleiderschrank im Schlafzimmer riskiert, in seinen Nachttisch oder in die Hausapotheke im Bad. Schändlich, aber menschlich. Man tat es, um eine Vorstellung davon zu bekommen, was hinter jemandem steckte. Wenn man Glück hatte, musste man lächeln und fühlte sich zu diesem Menschen hingezogen. Hatte man weniger Glück, bekam man eine Gänsehaut und ergriff die Flucht.
Aber hier lagen die Dinge anders.
Sie hatte nicht das Bedürfnis, sich umzusehen, obwohl der Mann ein CIA-Agent war. Sie warf nur einen
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