Imperator 01 - Die Tore von Rom
einer entwürdigenden Aufgabe betrauen, sie irgendwo im Norden Zinnminen gegen die bemalten Wilden verteidigen lassen, aber seine Männer würden am Leben bleiben. Er hatte viel aufs Spiel gesetzt und verloren. Bittere Verzweiflung erfasste ihn, nahm dem Schmerz die Schärfe, als sich im rohen Griff von Sullas Männern gebrochene Knochen in seinem Leib verschoben, Männern, die es noch ein Jahr zuvor nicht gewagt hätten, auch nur einen Finger gegen ihn zu rühren. Sein Arm hing leblos herab, fühlte sich taub an, als gehöre er nicht zu ihm, doch das spielte keine Rolle mehr. Ein letzter Gedanke hielt ihn davon ab, sofort zu sprechen. Sollte er das Ganze noch eine Weile hinauszögern, in der Hoffnung, dass seine Männer vielleicht doch noch durchbrachen und die Situation zu seinem Vorteil wendeten? Er drehte den Kopf und sah Sullas Männer in sämtliche Straßen ausschwärmen, erkannte, dass die Chance auf eine rasche Vergeltung dahin war. Von nun an gab es nur noch blutigen, verzweifelten Kampf, und ein Großteil seiner Legion stand noch immer auf den Mauern rings um die Stadt, alles andere als darauf vorbereitet, in den Kampf einzugreifen. Nein.
»Ich stimme dir zu. Mein Wort darauf. Lass den nächstbesten meiner Männer zu mir, damit ich den Befehl an sie weitergeben kann.«
Sulla nickte, doch in seinem Gesicht spiegelten sich alle möglichen Zweifel. »Wenn du die Unwahrheit sagst, müssen Tausende sterben. Deine Frau wird zu Tode gefoltert. Mach dem allen ein Ende. Bringt ihn her!«
Marius stöhnte vor Schmerz auf, als er aus dem Schatten der Mauer gezogen wurde, dorthin, wo das Klirren der Waffen am lautesten war.
Sulla nickte seinen Adjutanten zu. »Blast zum Einstellen der Kampfhandlungen«, blaffte er, wobei seine Stimme zum ersten Mal, seit Marius ihn erblickt hatte, einen Hauch von Nervosität verriet. Die Trompeter ließen das Signal ertönen, und sofort wichen die erste und zweite Reihe zwei Schritte vom Feind zurück, wo sie ihre Positionen mit blutigen Schwertern hielten.
Marius’ Legion hatte an der südöstlichen Seite die Mauern verlassen und schwärmte durch die Straßen herbei. Durch jede Gasse, jede Straße kamen sie in Massen heran, mit vor Wut und Blutgier leuchtenden Augen. Hinter ihnen drängten von Sekunde zu Sekunde mehr nach, während sich die Stadtmauern von ihren Verteidigern leerten. Als Marius zum Sprechen aufgerichtet wurde, erhob sich unter den Männern lautes Wutgeheul, ein animalischer Lärm, der nichts als Rache forderte. Sulla wich nicht davor zurück, doch die Muskeln um seine Augen spannten sich. Marius holte zum Sprechen tief Luft und spürte die Spitze eines Dolches im Rücken.
»Erstgeborene.« Marius’ Stimme war nur noch ein Krächzen. Er versuchte es noch einmal, sammelte seine Kraft. »Erstgeborene. Es gibt keine Schande. Wir sind nicht verraten, sondern von Sullas eigenen Männern angegriffen worden, die er zurückgelassen hat. Und jetzt, wenn ihr mich liebt, wenn ihr mich jemals geliebt habt, tötet sie alle und lasst Rom brennen! «
Er achtete nicht auf den Schmerz, als der Dolch in ihn eindrang und stand einen langen Augenblick aufrecht vor seinen Männern, die vor Kampfeslust wild aufbrüllten. Dann brach sein Körper zusammen.
»Feuer der Hölle!«, brüllte Sulla, als die Erstgeborenen vorwärts stürmten. »Bildet Vierer. Nahkampfformation! Sechste Kompanie zu mir. Greift an!« Er zog sein Schwert, und die am nächsten Stehenden drängten sich dichter heran, um ihn zu schützen. Schon roch er Blut und Rauch in der Luft, und dabei würde es noch Stunden dauern, bis der Morgen heraufdämmerte.
29
Marcus schaute über die Brustwehr auf die fernen Lagerfeuer des Feindes. Es war ein herrliches Land, aber es gab nichts Sanftes darin. Die Winter töteten die Alten und Schwachen, und sogar das Gestrüpp, das sich an die steilen Klippen der Bergpässe klammerte, sah irgendwie verdorrt und besiegt aus. Nach über einem Jahr als Kundschafter in den Bergen war seine Haut dunkelbraun gebrannt und sein Körper von kräftigen Muskelsträngen überzogen. Er hatte das entwickelt, was die Soldaten den »Riecher« nannten, die Fähigkeit, einen Hinterhalt im Voraus zu spüren, einen feindlichen Spurenleser auszumachen und im Dunkeln unsichtbar über die Steine zu schleichen. Alle erfahrenen Spürhunde hatten den Riecher, und diejenigen, die ihn nach einem Jahr noch nicht hatten, bekamen ihn nie und wurden auch niemals erstklassig, wie es hieß.
Nachdem Marcus
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