Imperator 02 - König der Sklaven
viel von seiner Anspannung sich wohl in seinem Gesicht widerspiegelte.
»Warum bist du hergekommen?«, fragte sie in die schreckliche Stille hinein. Wie viele Antworten auf diese Frage hatte er sich schon überlegt! Szene für Szene hatte er nachts in seiner Phantasie durchgespielt: sie zu verspotten, zu beleidigen, sie in die Arme zu schließen. Nichts davon hatte ihn auf die tatsächliche Situation vorbereiten können.
»Als Kind habe ich mir immer vorgestellt, wie du wohl bist. Ich wollte dich sehen, nur ein einziges Mal, nur um zu wissen, wer du bist. Ich wollte wissen, wie du aussiehst.« Er hörte, wie seine Stimme zitterte. Wut stieg in ihm auf. Er würde sich nicht lächerlich machen. Er würde nicht wie ein Kind mit dieser Frau reden, dieser Hure.
»Ich habe immer an dich gedacht, Marcus«, sagte sie. »Ich habe viele Briefe an dich angefangen, aber ich habe sie nie abgeschickt.«
Brutus sammelte mühsam seine Gedanken. In all den Jahren seines Lebens hatte er nie seinen Namen aus ihrem Mund gehört. Es machte ihn zornig, und der Zorn gestattete es ihm, ruhig mit ihr zu sprechen.
»Wie war mein Vater?«, fragte er.
Sie wandte den Blick ab und starrte auf die Wände des einfachen Raums, in dem sie saßen.
»Er war ein guter Mann, sehr stark, und so groß wie du. Ich habe ihn nur zwei Jahre gekannt, ehe er starb, aber ich weiß noch, wie froh er war, einen Sohn zu haben. Er hat dir deinen Namen gegeben und dich zum Tempel des Mars gebracht, um dich von den Priestern segnen zu lassen. Im gleichen Jahr wurde er krank und starb noch vor dem Winter. Die Ärzte konnten nichts für ihn tun, aber er hatte am Ende nur wenig Schmerzen.«
Brutus spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen, und wischte sie wütend weg, als sie fortfuhr.
»Ich … konnte dich nicht großziehen. Ich war selbst noch ein Kind und nicht bereit oder in der Lage, eine Mutter zu sein. Ich habe dich bei seinem Freund gelassen und bin davongelaufen.« Bei dem letzten Satz versagte ihr die Stimme, und sie öffnete ihre geballte Hand, in der ein zusammengeknülltes Tuch zum Vorschein kam, mit dem sie sich die Augen trocknete.
Brutus betrachtete sie mit einem merkwürdig distanzierten Gefühl, als könnte ihn nichts, was sie sagte oder tat, berühren. Die Wut war verschwunden, und er fühlte sich fast ein wenig schwindlig. Es gab eine Frage, die er ihr stellen musste, aber jetzt fiel sie ihm ganz leicht.
»Warum hast du mich nicht geholt, als ich herangewachsen bin?«
Lange sagte sie nichts darauf und wischte sich mit dem Tuch die Tränen fort, bis sich ihr Atem wieder beruhigt hatte und sie ihn wieder ansehen konnte. Sie hielt ihren Kopf mit graziler Würde aufrecht.
»Du solltest dich nicht für mich schämen müssen.«
Seine unnatürliche Ruhe machte Gefühlen Platz, die wie Stroh im Sturm durcheinander wirbelten.
»Das wäre gut möglich gewesen«, flüsterte er mit heiserer Stimme. »Ich habe vor langer Zeit mit angehört, wie jemand über dich geredet hat, aber ich habe so getan, als wäre es eine Verwechslung, um dich aus meinen Gedanken zu vertreiben. Dann stimmt es also, dass du …«
Er konnte die Worte ihr gegenüber nicht aussprechen, doch sie richtete sich noch weiter auf, und ihre Augen funkelten.
»Dass ich eine Hure bin? Vielleicht. Ich war es einmal, obwohl man, solange die Männer, die man kennt, mächtig genug sind, Kurtisane genannt wird, oder sogar Begleiterin.« Sie verzog das Gesicht, und ihr Mund zuckte.
»Ich dachte, du würdest dich vielleicht für mich schämen, und das hätte ich von meinem Sohn nicht ertragen können. Erwarte von mir keine Scham. Ich habe sie vor allzu langer Zeit verloren, als dass ich mich noch daran erinnern könnte. Ich würde ein anderes Leben wählen, wenn ich noch einmal anfangen könnte, aber ich kenne niemanden, der nicht den gleichen vergeblichen und müßigen Traum hat. Ich werde mein Leben nicht damit zubringen, Tag für Tag den Kopf vor lauter Schuld zur Erde zu neigen! Auch für dich nicht.«
»Warum hast du mich gebeten, heute zurückzukommen?«, wollte Brutus wissen, der es plötzlich selbst kaum glauben konnte, dass er ihrer Bitte so leicht nachgekommen war.
»Ich wollte sehen, ob dein Vater immer noch stolz auf dich wäre. Ich wollte sehen, ob ich stolz auf dich bin! Ich habe in meinem Leben viele Dinge getan, die ich bereue, aber dich zur Welt gebracht zu haben, hat mich immer getröstet, wenn alles andere nicht mehr zu ertragen war.«
»Du hast mich
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