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Imperator

Imperator

Titel: Imperator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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unter dem Einfluss der gewaltigen Kräfte von Völkerwanderungen und dem Wandel der Gezeiten, denen nicht einmal ein Kaiser Befehle erteilen konnte.
    Als Antwort auf diese Bedrohung war Rutupiae, einst eine offene Stadt, zu einer Festung geworden.
    Das Kastell war von einer riesigen Anlage von Doppelgräben umgeben, und die herbeiströmende Menge musste sich auf einen schmalen Damm zwängen, der zum Westtor führte. Vor ihnen starrten dicke Mauern mit eckigen Türmen finster auf sie herab. Die Mauern waren im soliden römischen Stil errichtet; das von Sklaven hergestellte Gussgestein war so stark, dass es dem Küstenwetter angeblich bis in alle Ewigkeit standhalten konnte. Doch Thalius erkannte Stücke von zerbrochenen Säulen und Fragmente von Statuen, die in die Mauern eingegossen waren; einige Brocken schienen sogar von Soldatengrabsteinen zu stammen. Alles war zertrümmert und wiederverwendet worden. Thalius fragte sich, wie viele der heute hier anwesenden Menschen wussten, dass Claudius’
Invasionsstreitmacht einst an dieser Stelle gelandet war, und er sann über die Ironie nach, die darin lag, dass man einen Triumphbogen zum Gedenken an diese epochale Landung abgerissen hatte, um eine Festung zu bauen, die neue Eindringlinge abwehren sollte. Dies war ein grimmiges Zeitalter, in dem man sich abschottete und zusammenrückte, kein Zeitalter für große Gesten.
    Trotzdem beherbergte das Kastell ungeachtet seiner komplizierten Geschichte heute den Imperator persönlich, Konstantin, den Kaiser aller westlichen Provinzen, den Herrscher über die Hälfte der bekannten Welt. Und draußen auf dem Meer, hinter den aufragenden Kastellmauern, erspähte Thalius die purpurnen Segel der Schiffe, die den Kaiser und sein Gefolge hierhergebracht haben mussten. Thalius merkte, wie seine Anspannung wuchs; so aufgeregt war er nicht mehr gewesen, seit er als Kind, jünger als Audax, im Zirkus bei Camulodunum auf den Beginn der Wagenrennen gewartet hatte.
    Auf dem Weg durchs Westtor in die Festung absolvierten Thalius und seine Gruppe eine Abfolge von Kontrollen, die von Beamten der hiesigen Städte, der Provinzregierung, der Diözese Britannia , ja sogar der Präfektur Gallien und des kaiserlichen Hofes durchgeführt wurden. All diese Beamten nutzten die Gelegenheit, vom Besuch des Kaisers zu profitieren; sie erwarteten offenbar, dass man ihnen für die gnädige Durchfahrtserlaubnis ein, zwei Münzen in die Hand drückte. Die Prozedur wurde von hartgesichtigen Angehörigen
der germanischen Leibwache des Kaisers überwacht – keine Prätorianer, Konstantin hatte diese überbezahlten Kaisermacher reduziert –, die ebenfalls nichts gegen ein paar kleine Zuwendungen hatten. Tarcho händigte ihnen grollend weitere Münzen aus dem schweren Geldbeutel aus, den er bei sich trug.
    Thalius ließ sich von den Menschenschlangen und der schäbigen Korruption jedoch nicht die Laune verderben. Man spürte förmlich den Eifer und die Nervosität, die Hoffnungen und Träume der Bittsteller, denn heute war Rom hier, an diesem windigen britannischen Gestade.
    Schließlich fand sich Thalius dank des Schreibens von Ulpius Cornelius in einer Menge von Petenten wieder, die gleich beim Westtor des Kastells vor einer eilig unmittelbar neben der Straße errichteten Bühne Aufstellung nahmen – einer Bühne, auf der Konstantin selbst saß, Berater und Wachen zu beiden Seiten, und sich geduldig die Klagen und Bittgesuche anhörte.
    Wenn Thalius erwartet hatte, einen Soldaten auf diesem hölzernen Thron zu sehen, so war er enttäuscht. Konstantin war ein grobknochiger, kräftig aussehender Mann Anfang vierzig, aber die Haare reichten ihm bis auf die Schultern und waren so voll und blond, dass sie einfach falsch sein mussten. Er trug ein langes, fließendes Gewand aus Seide, wie es schien, bestickt mit goldenen Blumenmustern. Selbst seine Schuhe waren mit Edelsteinen besetzt. Und obwohl Thalius in Konstantins keineswegs hässlichem Gesicht die raue, aber herzliche Liebenswürdigkeit eines Soldaten zu erblicken
glaubte, musste man auf die Knie sinken und den Kopf auf den Boden drücken, wenn man sich ihm nähern wollte.
    »Er hat überhaupt keine Ähnlichkeit mit einem Römer«, sagte er leise. »Er sieht aus, als käme er aus Ägypten oder Persien. Augustus wäre entsetzt gewesen.«
    Tarcho knurrte: »Er sieht wie das aus, was er ist: der Imperator. Erwartest du, dass er sich wie ein Latrinenreiniger kleidet? Er muss etwas hermachen. Und er ist ein guter

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