Imperator
an. Er trat näher an Thalius heran und senkte die Stimme. »Hör mir zu. Die Dinge ändern sich. Unsere Großväter hätten das Reich, so wie es jetzt ist, nicht mehr wiedererkannt, und bald wird es sich erneut verändern, so oder so. Die Frage ist, wie diese Veränderung aussehen wird. Wenn an deiner Prophezeiung etwas dran ist, dann könnte sie in dieser Zeit großer historischer Umwälzungen eine sehr mächtige Waffe sein.«
Thalius hörte nur ein Wort. »›Waffe‹?«
Cornelius musterte ihn. »Auf deine konfuse Weise willst du dich mit Konstantin auseinandersetzen, nicht wahr? Du willst ihn von dem Weg abbringen, den er eingeschlagen hat.«
»Ich weiß nicht recht, ob ich es so ausdrücken würde …«
»Du wirst feststellen, dass du nicht allein bist. Viele von uns haben Vorbehalte gegen den Kaiser, Vorbehalte,
die nichts mit Christus zu tun haben, sondern mit den römischen Traditionen und deren Fortbestand, wie auch mit dem Fortbestand der Stadt und des Reiches – heute, morgen und übermorgen. Verstehst du?«
»Ich glaube schon. Aber ich …«
»Und stimmt es«, sagte Cornelius beinahe sehnsüchtig, »dass deine Prophezeiung von Freiheit spricht? Ging es in den rätselhaften letzten Zeilen, die Claudius in seinen Erinnerungen erwähnt, wirklich darum? Hat der unbekannte Seher etwas über die Rückkehr zu den Freiheiten der Republik geschrieben, darüber, dass die schwere Hand der Caesaren von uns genommen wird?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Thalius.
»Na schön. Jetzt, wo ich dich kennengelernt habe, sehe ich, dass du noch nicht für eine Begegnung mit dem Kaiser gerüstet bist. Ich werde dir eine andere Audienz ermöglichen. Bis dahin finden wir vielleicht Zeit, um miteinander zu reden. Geh jetzt.« Er wandte sich ab.
Der entlassene Thalius war zutiefst enttäuscht, dass es ihm nun doch nicht vergönnt sein würde, Konstantin gegenüberzutreten; aber die höfischen Prozeduren gingen bereits weiter.
Tarcho schnaubte. »Diese Römer und ihre Weissagungen – sie waren schon immer ein abergläubischer Haufen!«
»Aber ich bin nicht hierhergekommen, um mich gegen Konstantin zu verschwören.«
»Wirklich nicht? Vielleicht hat dieser hochnäsige
Römer dir tiefer ins Herz geschaut als du selbst.« Er zog an Thalius’ Ärmel. »Lass uns von hier verschwinden. Wir haben unseren Platz in der Schlange schon eingebüßt, und es gehört sich nicht, am Hof eines Kaisers herumzulungern.«
Thalius ließ sich wegführen. Tarcho hielt Audax fest an der Hand. Der Junge hatte das ganze Geschehen stumm und mit großen Augen verfolgt.
VII
Thalius schloss sich mit Tarcho und Audax der kaiserlichen Prozession an, als sie Rutupiae verließ. Der Kaiser wurde in einer farbenprächtig geschmückten Sänfte getragen, während sich seine Bischöfe wie exotische Vögel zusammenscharten. »Christus ist auf einem Esel nach Jerusalem geritten«, schimpfte Thalius. »Wie entsetzt wäre er beim Anblick dieser großspurigen Narren gewesen!« Tarcho, für den Christus und Gottvater so etwas wie ein Zenturio und dessen Kommandeur zu sein schienen, verwirrte diese Bemerkung lediglich.
Konstantin wollte die Hauptstädte der vier Provinzen besuchen, darunter auch Londinium, die Hauptstadt der alles überspannenden Diözese, und überdies sämtlichen großen Militärstützpunkten einen Besuch abstatten, auch Eburacum und den Wall-Kastellen im Norden. Der Kaiser verfolgte mehrere Ziele. Er wollte die Regierungen der neu gegliederten Provinzen stärken, die sein Vater ihm hinterlassen hatte, und für die Umsetzung der von Diokletian eingeleiteten und von seinem Vater weitergeführten Heeresreformen sorgen. Außerdem sollte sein Besuch ein umfassenderes Programm der Renovierung und Erneuerung der schäbigen
öffentlichen Einrichtungen und der militärischen Infrastruktur in den vier Provinzen initiieren.
Aber jeder wusste, dass Konstantin in erster Linie britannische Truppeneinheiten für seinen bevorstehenden Konflikt mit Licinius, dem Ostkaiser, abziehen wollte: Er war hier, um etwas von der Insel zu nehmen, nicht, um ihr etwas zu geben. Der Imperator war beliebt in Britannien, aber er würde auf erheblichen Widerstand stoßen, wenn er in solch unsicheren Zeiten die Truppenstärke der Diözese verringerte. Konstantin war klug genug, um das zu verstehen. Deshalb war er persönlich hierhergekommen, um die Menschen zu beruhigen und mit seinem Glanz zu blenden, während er die Garnisonen der Insel zur Ader ließ.
Nach
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