Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Imperator

Imperator

Titel: Imperator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
Vom Netzwerk:
Londinium zog Konstantin weiter in Richtung Camulodunum. Unterwegs machte er jedoch einen großen Umweg nach Norden, um das weiter östlich gelegene Marschland zu besuchen, einen riesigen Ackerland-Flickenteppich, der dem Meer mittels eines gewaltigen Systems aus Deichen, Kanälen, Entwässerungsgräben und Straßen abgerungen worden war – alles bezahlt von den Einheimischen und instandgehalten von Zwangsarbeitern und Sklaven. In älteren Landstrichen waren die Gehöfte und Siedlungen aus Gemeinschaften und Anbaustrukturen hervorgegangen, die es dort schon jahrhundertelang gegeben hatte, bevor ein Römer seinen Fuß auf die Insel gesetzt hatte, und darum waren sie unordentlicher, älter und auf widerspenstige Weise chaotisch. Hier jedoch war das neue Land eine leere Leinwand für die von den römischen
Planern bevorzugten ordentlichen Muster gewesen, und darum verliefen die Straße und Deiche in dieser völlig ebenen, vollkommen künstlichen Landschaft Meile um Meile schnurgeradeaus. Für Thalius war dieses geometrische Marschland die Quintessenz der geradezu zwanghaft disziplinierten römischen Denkungsart.
    Die Landgewinnung war jedoch nicht vollständig gelungen. Hier und dort sah Thalius Bauern, die trübsinnig in sumpfigem Boden scharrten, und manche Gehöfte waren wegen der Überschwemmungen gänzlich aufgegeben worden. Wenn es stimmte, dass der Ozean in Germanien anstieg, dann war es hier vielleicht auch so.
    Während dieser Phase der Reise ließ sich ein Mitglied des kaiserlichen Hofes dazu herbei, sich zu Thalius und seinen Gefährten zu gesellen: Ulpius Cornelius. Seine anfängliche Begründung lautete, dass er Thalius einen Brief auf einem zusammengefalteten Holztäfelchen zeigen wollte, den er bei sich hatte.
    Thalius überflog ihn rasch. Er kam von einer gewissen Claudia Brigonia Aurelia, einer Witwe aus Eburacum  – und er betraf Prophezeiungen, die sich auf Konstantin bezogen. Thalius erschrak und gab ihn hastig zurück.
    Sein Unbehagen schien Cornelius Vergnügen zu bereiten. »In Aurelias Familie gibt es offenbar auch Sagen über Prophezeiungen und Kaiser. War einer ihrer Vorfahren in die komplizierten Geschichten verwickelt, die du mir erzählt hast?«

    »Woher weiß sie von mir?«
    »Durch mich«, sagte Cornelius selbstgefällig. »Ich bin ein gründlicher Mensch, Thalius. Ich habe dir doch gesagt, dass ich in den Archiven Hinweise gefunden habe, welche die Existenz deiner Prophezeiung bestätigen. Ich bin ihnen nachgegangen und habe dabei umfangreichen Gebrauch von meinen Kontakten in Britannien gemacht. Und wie es sich ergab, wurde dabei diese Frau namens Aurelia auf mich aufmerksam, und es gelang mir, ihr Interesse zu wecken.«
    »›Ihr Interesse zu wecken‹? Was soll das heißen, Cornelius? Was will sie?«
    »Tja, das weiß ich nicht, jedenfalls nicht genau. Aber wie du – und ich – scheint sie sich Sorgen über die Richtung zu machen, in die der Kaiser uns alle führt.« Er grinste kalt. »Ich glaube nicht, dass sie je von dir gehört hatte, Thalius. Und doch scheint es, als hättest du da ein weiteres Mitglied für deinen Verschwörerzirkel gefunden.«
    Wie schon bei seinem ersten direkten Kontakt mit Cornelius hatte Thalius das Gefühl, dass ihm die Kontrolle über die Geschehnisse entglitt. »Es gibt keine Verschwörung, und ich habe auch keinen Zirkel!«
    »Dann hat der Kaiser ja nichts zu befürchten«, erwiderte Cornelius gewandt. »Und du auch nicht.«
    Thalius hatte den Eindruck, dass Cornelius bei ihm in Wirklichkeit ein offenes Ohr für seine Klagen über seine eigenen Kümmernisse suchte – Kümmernisse, die für jemanden von Cornelius’ patrizischer Herkunft allerdings ziemlich beträchtlich waren. »Der
Zerfall von Autorität und Tradition, den Konstantin ausgelöst hat, reicht bis ins Herz der Reichsregierung«, empörte er sich, »ja sogar bis an seinen eigenen Hof …«
    Konstantin hatte eine neue Schicht von Aristokraten erschaffen, die sich »Orden der kaiserlichen Gefährten« nannten. Sein Rat, das consistorium , entstammte dieser Gruppe. Auch viele der in schreiende Farben gekleideten Bischöfe, deretwegen Thalius so unbehaglich zumute war, gehörten dazu. Durch die Etablierung der »Gefährten« hatte Konstantin jedoch die alten Senatoren- und Equitesklassen ausgeschlossen. Cornelius’ Familie, Senatoren seit den Zeiten der Republik, hatte ihren Einfluss weitgehend eingebüßt, und seine Stellung am Hof war gefährdet.
    Cornelius schäumte vor Zorn.

Weitere Kostenlose Bücher