Imperator
Mann.« Er legte die gewölbten Hände um den Mund und rief: »Alles Gute, Konstantin!«
Thalius wusste, dass Konstantin bei den britannischen Soldaten immer beliebt gewesen war. Schließlich hatten sie beim Tod seines Vaters, Constantius Chlorus, den fünfunddreißigjährigen Flavius Valerius Constantinus in Eburacum zum neuen »Augustus«, einem Mitglied des Kaiserkollegiums, ausgerufen und dann unter ihm gekämpft, als er seinen bisher größten Sieg errungen hatte; er hatte seinen Rivalen Maxentius verdrängt und war alleiniger Herrscher des Westens geworden.
Und er habe mit Hilfe des Christengottes gesiegt, hatte Konstantin verkündet. In der Nacht vor der Entscheidungsschlacht bei Rom war ihm der Christengott im Traum erschienen. Am Morgen hatte er seinen Soldaten befohlen, mit Kreide Kreuze auf ihre Schilde zu malen. Seit diesem Sieg hatte Gott endgültig einen festen Platz in seinem Leben und seinem Reich.
Die Früchte von Konstantins Bekehrung waren
jetzt vor Thalius zu sehen. Helena, die Mutter des Kaisers, reiste mit ihm; die ehemalige Konkubine entwickelte sich zu einer Art Pilgerin mit der Mission, durchs ganze Reich bis nach Judäa zu reisen, um Reliquien von Jesus Christus zu suchen. Und es gab Bischöfe im Gefolge des Kaisers und nun auch bei ihm auf der Bühne; sie waren fast so prachtvoll gekleidet wie er, sah Thalius voller Abscheu, reiche und mächtige Männer, die nichts, aber auch gar nichts mit der Vision des Zimmermannssohnes gemein hatten. Manche Zyniker behaupteten, mit einem Staubkorn im Auge sei jedermann imstande, ein Kreuz im Himmel zu sehen, und Konstantins »Bekehrung« sei vielleicht nicht zuletzt der Manipulation der Geschehnisse durch die listenreichen Bischöfe an seinem Hof zu verdanken.
Und manche Christen der alten Schule, darunter auch Thalius, waren hochgradig besorgt darüber, dass nun eine Kriegergottheit in die Maschinerie des Staates einzementiert wurde und nicht der sanftere Gott der Lehren Jesu Christi selbst.
Schließlich wurde Thalius nach vorn gewunken, und er marschierte mit klopfendem Herzen zum Podium des Kaisers – aber dann versperrte ihm eben jener Mann den Weg, dessen Antwortschreiben ihn so weit gebracht hatte.
Ulpius Cornelius, vielleicht vierzig Jahre alt, trug eine Toga mit purpurnen Rändern. Er war ein hochgewachsener, kantiger, hagerer Mann mit schwarzen, nach hinten gekämmten Haaren und einem kleinen Mund mit heruntergezogenen Mundwinkeln; seine
vorspringende Nase eignete sich ideal, um auf andere herabzublicken. Vor ihm kam Thalius sich armselig und schäbig vor, wie ein Provinzler aus den niederen Klassen. Wenn Konstantin wie ein östlicher Potentat aussah, so war Cornelius von Kopf bis Fuß der klassische Römer – und deshalb an Konstantins Hof völlig fehl am Platz.
Cornelius warf einen Blick auf eine Liste und musterte Thalius scharf. »Du bist also der Prophet«, begann er unverblümt.
»Ich würde mich nicht so nennen«, sagte Thalius verlegen und irritiert. »Es ist eine Sage meiner Familie, die …«
»Aber in deinem Brief hast du von einer Prophezeiung gesprochen. Von bestimmten Warnungen vor einer ungewissen Zukunft, von gewichtigen Ereignissen, die noch zu unseren Lebzeiten eintreten würden – Ereignissen, die den Lauf der Geschichte ein für allemal ändern könnten. Stimmt das?« Sein Latein war so rein, dass es erstickt klang.
»Ich bin Christ, Herr. Ich bin hier, weil ich mir Sorgen um die Zukunft der menschlichen Seelen mache, nicht …«
»Ja, ja. Aber ich bin das, was man heute einen ›Heiden‹ nennt, obwohl ich mich eher als Verteidiger der römischen Tradition bezeichnen würde. Deine Sklavenreligion interessiert mich herzlich wenig. Es sind nicht die sorgenvollen Lobpreisungen deines Glaubens, die meine Aufmerksamkeit erregt haben, Bürger, sondern deine Behauptungen bezüglich dieser Prophezeiung.
Ich habe in den Bibliotheken in Rom und Alexandrien Nachforschungen über deine Familie angestellt. Ich habe sogar eine Erwähnung in der biografischen Literatur über Kaiser Claudius gefunden. Stell dir das vor! Und dort steht tatsächlich etwas von einer Prophezeiung … Aber du sagst, die Prophezeiung sei verloren gegangen.«
»Nicht ganz«, erwiderte Thalius.
Cornelius zog eine ausgezupfte Augenbraue hoch. Thalius fühlte sich genötigt, noch mehr zu sagen, aber er spürte Tarchos Hand auf seinem Arm und blieb stumm. Cornelius schien dieses Zwischenspiel zu bemerken, und er sah Tarcho mit neuem Interesse
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