Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Imperator

Imperator

Titel: Imperator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
Vom Netzwerk:
links und oben rechts? Alpha und Omega – erinnert ihr euch? Es ist ein Akrostichon, das von und für Christen ersonnen wurde, genau wie das Pater Noster .«
    Thalius überlief es eiskalt. Wie konnte das sein? Wenn die alten Legenden zutrafen, entstammte das Akrostichon einem Gedicht, das im Geburtsjahr von
Christus niedergeschrieben worden war, als es noch gar keine Christen gab.
    »Aber da ist noch ein A und auch ein weiteres O – ach, was soll’s! Kannst du dieses Durcheinander entziffern?« , fragte Cormelius.
    »Mit dem A und O als Anfang und Ende … ja, ich glaube schon.«
    »Dann tu es, Frau!«
    Aurelia hielt inne und starrte die Narben eine Weile an. Plötzlich schien sie auf ganz untypische Weise zu zögern. »Zuerst müssen wir sicher sein, dass wir es auch wirklich wissen wollen .« Sie wandte sich von dem Jungen ab. »Ihr Römer habt ein Wort für einen solchen Augemblick, Cornelius: discrimen , eine zentrale Entscheidung, die das ganze Leben prägt, eine Entscheidung, die zum Triumph oder in die Katastrophe führen kann. Selbst wenn ich die Prophezeiung zu lesen vermag, sollten wir ihrem Rat folgen? Konstantins Ausrufung zum Kaiser ist vielleicht das bedeutendste Ereignis, das jemals in Britannia stattgefunden hat. Rom ist die größte Macht der Welt, und von Kaisern getroffene Entscheidungen lassen die Geschichte erbeben. Und nun erwägen wir, einen Kaiser von seinem gewaltigen Weg abzubringen. Mag sein, dass der Weber der Geschichte das will, aber wollen wir es auch? Sind wir uns sicher ? Cornelius?«
    Cornelius dachte darüber nach. »Wenn man ihm keine Zügel anlegt, wird dieser Kaiser eben jene Kräfte vergeuden, die Rom stark gemacht haben. Rom muss sich neu entdecken – und wenn Konstantin der Mann
ist, der diese Wiedergeburt ins Werk setzt, werde ich glücklich sein. Aber man muss ihm den Weg zeigen. Und was ist mit dir, Claudia Aurelia?«
    »Ich mache mir Sorgen um Britannien. Wir werden zu Tode besteuert. Und wenn das Herz des Reiches nach Osten verschoben wird, könnte der Westen verdorren. Ja, er muss davon abgebracht werden, bevor sein Kurs endgültig festgelegt ist. Ich bin mir sicher. Und du, Thalius? Wirst du der Prophezeiung folgen?«
    Thalius versuchte mit klopfendem Herzen, die Angelegenheit zu durchdenken.
    Die anderen nahmen beständig einen parteiischen Standpunkt ein, wie ihm schien. Tatsache war, dass die Welt ein anderer Ort war als die Arena, in der Rom seine ersten überwältigenden Erfolge errungen hatte. Jetzt gab es keinen Raum mehr zur Expansion, und aus dem Herzen Asiens kamen ganze Völkerschaften, die vor Dürre und Hungersnöten flohen.
    Die Römer waren keine technischen Neuerer, aber Thalius hielt sie für soziale Neuerer. Sie hatten sich bereits einer gewaltigen Transformation unterzogen, als die Verwaltung ihrer ungeheuren Erwerbungen die anstrengenden politischen Prozesse einer Republik überansprucht hatte, und die Kaiser hatten das Licht der Welt erblickt. Jetzt strebte Konstantin als Reaktion auf den Druck einer neuen Zeit eine noch drastischere Metamorphose an, indem er ein Konglomerat von Provinzen mit unterschiedlichem Entwicklungsstand zu einer einzigen, streng kontrollierten Nation zusammenzuschweißen versuchte, die der Autorität eines
Mannes unterstand und durch den theologischen Zement des Christentums verbunden war. Es schien Thalius, dass Konstantin von künftigen Generationen als wahrhaft groß, als Genie unter seinesgleichen gepriesen werden könnte.
    Aber was war mit dem Christentum? Wenn die Kirche bei der Bewahrung Roms korrumpiert oder zerstört wurde, entschied Thalius traurig, wäre dieser Verlust für die Menschheit sogar noch schlimmer als Roms Untergang. Was also sollten sie tun?
    Auf der Suche nach einem Fingerzeig schloss er die Augen zu einem kurzen Gebet. Wenn Konstantin nur sähe, wie sich seine Politik auf seine Untertanen auswirkte, würde er, um den Herausforderungen der Zeit zu begegnen, das Imperium vielleicht im Konsens statt mit Gewalt um eine neue Gruppe von Zielen vereinen – es als wahrhaft christlichen Staat wiederaufbauen –, sodass alle fünfzig bis sechzig Millionen Bürger gemeinsam vorwärtsschreiten konnten. Ein Brief, dachte er: ja, ein Brief, unterzeichnet von einem Spektrum besorgter, aber wohlmeinender Personen – ein Brief, gestützt von der mysteriösen Autorität der Prophezeiung  –, das würde den Kaiser vielleicht dazu bewegen, seine Standpunkte in vieler Hinsicht zu klären. Vielleicht

Weitere Kostenlose Bücher