Imperator
die eine eigene Familie hatten und deren Wurzeln Generationen zurückreichten, konnten sich wahrscheinlich nicht einmal vorstellen, wie es sein würde, unter einem Kaiser auf einem langen Feldzug in einem fremden Land zu dienen. Dennoch waren sie römische Soldaten, und zweifellos schlugen unter diesen ererbten
Panzerplatten nicht wenige Herzen heftig vor Erwartung.
Endlich ritt der Kaiser selbst an ihnen vorbei, ein stämmiger, kräftiger Mann, begleitet von seinen Feldherren und Adjutanten. Sie alle trugen teure, farbenfrohe Paraderüstungen samt kunstvollen Helmen mit reich verziertem Nackenschutz und juwelenbesetzten Wangenklappen. Die Soldaten standen stramm und ließen die Musterung ihres Kaisers stolz über sich ergehen.
Cornelius, der ewige Traditionalist, flüsterte Thalius einen Kommentar ins Ohr. »Was für eine bunte Mischung von Symbolen – findest du nicht? Hier hast du ein römisches Heer, dessen Wurzeln – das sollten wir nicht vergessen – in den Bürger-und Bauerngemeinschaften von Latium liegen. Und nun schau dir den Kaiser und seine Kumpane in ihren schicken Paraderüstungen an. Ich habe Ägypten- und Persienreisende sagen hören, je zentralisierter die Gesellschaft sei, desto häufiger sehe man die Protzerei mit solchen Rangsymbolen …«
»Ach, halt den Mund, Cornelius, du Langweiler«, zischte Aurelia. »Es ist nicht einmal mehr eine Stunde bis zu unserer Audienz beim Kaiser.«
»Da ich die Audienz in die Wege geleitet habe«, sagte Cornelius steif, »bin ich mir dessen sehr wohl bewusst.«
»Ist der Junge bereit?«
Thalius schaute zu Tarcho und Audax hinüber, die im Pavillon ein paar Reihen hinter den anderen saßen.
Der alte Soldat sah in seiner polierten Rüstung einigermaßen gepflegt aus, obwohl er offenkundig am liebsten draußen auf dem Feld bei den Soldaten gewesen wäre. Audax war gewaschen und in eine schmucke neue Tunika gesteckt worden, und man hatte ihm die Haare geschnitten und gekämmt. Er wirkte jedoch immer noch dünn und blass und sah viel jünger aus, als er an Jahren zählte – er war nach wie vor der kleine Engerling, den Thalius in Dolaucothi gefunden hatte. Und dennoch war er der Schlüssel zu allem.
»Er ist bereit«, sagte Thalius zu Aurelia.
»Gut«, sagte Cornelius. »Gehen wir es noch einmal durch. Ich führe dich, Thalius, mit dem Jungen hinein. Es ist mir gelungen, das Interesse des Kaisers an der Prophezeiung zu wecken, die in den Rücken des Jungen eingeritzt ist. Solche Dinge faszinieren ihn, wie alle diese leichtgläubigen Soldaten. Dann rufe ich dich nach vorn, Claudia Aurelia …«
»Und ich zeige ihm mit Aurelias Hilfe, wie man das Akrostichon liest«, ergänzte Thalius.
»Eine Vorhersage seiner eigenen Ermordung«, sagte Cornelius mit kaltem Grinsen, gerade leise genug, dass niemand außer ihnen es hören konnte, aber doch so laut, dass Thalius befürchtete, jemand hätte es gehört.
»Anschließend lege ich ihm unsere Denkschrift vor.« Thalius klopfte auf seine Toga, unter der er die zehn Pergamentseiten verstaut hatte, ein in Schönschrift abgefasstes Exemplar des letztendlich vereinbarten Textes: Aufrichtiger Rat, demütig dargeboten von besorgten Bürgern .
Jetzt, wo sie so nahe daran waren, merkte er, wie seine Zuversicht wuchs. Es war ein außergewöhnlicher Versuch, den sie hier unternahmen, die Denkweise eines Kaisers derart tiefgreifend zu ändern, und Thalius hatte in den letzten zwei Nächten kaum geschlafen. Der Kaiser fürchtete zwar keinen Menschen, wohl aber Gott, und vielleicht würde er die Prophezeiung wie beabsichtigt als Warnung verstehen und empfänglich für die Logik ihres Schreibens sein.
Dann bemerkte er, wie Cornelius und Aurelia einen Blick wechselten, den er nicht deuten konnte. Das rief ihm ins Gedächtnis, dass er diese Situation nicht im Griff hatte. Seine Zuversicht verdunstete wie Tau, und eine Furcht vor Möglichkeiten, die sich seiner Vorstellungskraft entzogen, fraß sich in seinen Magen.
XIII
Audax empfand es nicht als Ehre, dem Kaiser vorgeführt zu werden.
Es war wie damals, als man ihn vor den Aufseher Volisios geschleift hatte, weil er in einer Quarzader vor Müdigkeit gestürzt war und sich dabei die Hand aufgeschnitten hatte, sodass er tagelang zu nichts nütze gewesen war. Er war gar nicht auf den Gedanken gekommen, zu seiner Verteidigung anzuführen, dass ihn eine Bande von Lustmolchen zwei Nächte lang am Schlafen gehindert hatte. Der Aufseher hatte ihn eine Weile angebrüllt, ihm
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