Imperator
Aber Narcissus wusste, dass er sich letzen Endes nur auf sich selbst verlassen konnte – auf sich selbst und den scharfen Verstand, der ihn bislang am Leben erhalten und so weit gebracht hatte.
Allein in der fremden Dunkelheit, schloss er die Augen. In den schwierigen kommenden Stunden würde ihm schon eine Mütze voll Schlaf gute Dienste leisten.
VII
Nach einem anstrengenden Ritt, der zwei lange, schlaflose Tage und Nächte in Anspruch nahm, kehrten Agrippina, Nectovelin und Cunedda nach Camulodunum zurück. Agrippina ritt den geduldigen alten Wallach, und es gab keinen Augenblick, in dem sie Mandubracius’ warmen Körper hinter ihr nicht schmerzlich vermisste.
Von der Welt um sie herum nahm sie nichts wahr. Sie sah nur immer und immer wieder die Szene am Strand: die lachenden Männer, das glitzernde Schwert, den langsamen Fall der Fackel ins Meer. Es war wie eine makellose, in sich geschlossene lateinische Gedichtzeile, die ihr unablässig durch den Kopf ging.
Cunedda ritt schweigend dahin. Ihm fehlten die Worte; er hatte ganz offenkundig keine Ahnung, wie er mit der Situation fertig werden sollte, die so plötzlich seine und Agrippinas Träume von der Zukunft weggefegt hatte. Sie merkte, dass sie ihn durch ihre Insichgekehrtheit verletzte. Aber sie wollte nicht mit ihm sprechen, wollte nicht über ihn nachdenken oder ihn berühren , weil sie Angst hatte, ihm und sich selbst wehzutun.
Was Nectovelin betraf, so ritt er in seinem eigenen
grimmigen Schweigen dahin, so unergründlich wie ein Brocken Feuerstein.
Auf erschöpften Pferden trafen sie am Abend des zweiten Tages in Camulodunum ein. Während sie einem ausgetretenen Pfad einen flachen Hang hinab folgten, sah Agrippina die Stadt, die sich vor ihr am Ufer des Flusses über die Tiefebene ausbreitete. Sie erstreckte sich meilenweit, ein grünbrauner Klecks mit stolz aufragenden, kegelförmigen Häusern, aus deren Strohdächern Rauch in die zunehmende Dunkelheit sickerte. Die drei überwanden Gräben und Schutzwälle, und bei den ersten Häusern stiegen sie ab und führten ihre Pferde durch schlammige Gassen, wobei sie über Hühner und Kinder hinwegstiegen. In der Luft lag ein Brodem aus Holzrauch, Tierdung, Kochdünsten und dem scharfen Geruch von heißem Metall.
Dies war die Hauptstadt der Catuvellaunen, die sie im Rahmen von Cunobelins behutsamen Eroberungen vor einigen Jahrzehnten den Trinovanten abgenommen hatten. Camulodunum war sicherlich eines der bedeutendsten Bevölkerungszentren im Südosten, ja sogar in ganz Britannien. Die unterschiedlichsten Handwerkszweige waren hier zu finden, Schmiede und Lederarbeiter, Töpfer und Tischler, und sogar eine Münzstätte, denn der beim Handel mit dem römischen Gallien reich gewordene Cunobelin war so weit gegangen, seine eigene Währung herauszugeben. Agrippina, die aus dem spärlicher bevölkerten Land der Briganten im Norden kam, war von dem Ort mächtig beeindruckt gewesen, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte.
Doch nun sah sie Camulodunum wie mit den Augen eines einmarschierenden Legionärs. Nichts erweckte hier den Eindruck von Planung, es gab kein ordentliches Gittermuster der Straßen wie in einer großen römischen Stadt. Das Grün schob sich bis ins Zentrum der Siedlung, Felder, auf denen der Weizen wuchs, auf denen Schafe oder Rinder grasten, als wäre Camulodunum ein einziger riesiger Bauernhof. Ein Römer würde diese Ansiedlung sicherlich kaum als Stadt betrachten. Selbst die Verteidigungsanlagen waren nur verstreute Linien aus Wällen und Gräben.
Heute herrschte in dem Ort jedoch hektische Betriebsamkeit. Menschen, die Kleiderbündel und Holzkisten schleppten, strebten in alle Richtungen. Agrippina, die ihr Pferd durch dieses Gewühl führte, spürte die Angst.
»Die ganze Stadt ist in Aufruhr«, sagte Cunedda leise. »Sie haben schon von den Römern gehört.«
Nectovelin lief dicht neben Agrippina her. »Neuigkeiten verbreiten sich schnell. Wir haben die Römer wahrscheinlich als Erste gesehen, aber Legionen kann man nicht verbergen.«
»Die Leute scheinen mehr damit beschäftigt zu sein, ihre Schätze zu verstecken, als den Widerstand vorzubereiten.«
Nectovelin zuckte die Achseln. »Was hast du erwartet? Das sind Bauern. Sie haben Kinder, Vieh, Getreide auf den Feldern.«
»Meine Onkel werden schon den Kriegsrat einberufen haben«, sagte Cunedda nervös.
»Diese hitzköpfigen Fürsten«, knurrte Nectovelin. »Hoffen wir, dass die Klugheit siegt.«
Sie gelangten zu
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