Imperator
nervös.
»Sie warten darauf, dass wir angreifen«, antwortete Nectovelin. »Und das werden wir tun, wenn wir töricht sind. Wenn wir klug sind, warten wir ab.«
»Wie lange? Den ganzen Tag?«
»Wenn nötig, auch noch die ganze Nacht und einen weiteren Tag. Vergiss nicht, das hier ist unser Land. Sollen sie doch dort hocken bleiben und verhungern.«
»Aber diese Warterei ist schwer«, klagte Cunedda. »Selbst ich sehne mich danach, endlich mein Schwert zu schwingen.«
Nectovelin verzog das Gesicht. »Ja, so kämpfen die Britannier. Man lässt seine Leute gegenüber dem Haufen des Gegners antreten. Nach viel Gebrüll, vielen Beleidigungen und entblößten Ärschen gibt es vielleicht eine kleine Prügelei. Manchmal schickt man nur ein oder zwei Recken, die im Namen der anderen kämpfen. Wenn der Ehre dann Genüge getan ist, kehrt man auf seinen Bauernhof zurück.«
»Aber die Römer kämpfen nicht so.«
»O nein. Die Römer sind der Ansicht, was man anfange, das müsse man auch zu Ende bringen.«
»Können wir sie heute schlagen, Nectovelin?«
»Natürlich. Wir sind mehr als sie, oder ? Und sie sind weit weg von zu Hause. Aber es liegt nicht in unserer Hand, Cunedda. Die Entscheidung treffen die Fürsten. Ich zweifle nicht an ihrem Mut. Aber wir werden sehen, ob wenigstens einer der beiden auch nur halb so klug ist wie ihr Vater.«
Die beiden Streitmächte standen sich also gegenüber, dort die disziplinierten römischen Kohorten, unheimlich ruhig und still, hier der lärmende britannische Mob. Als die Hitze immer größer wurde und den letzten Rest des Morgennebels wegbrannte, begann Cunedda zu schwitzen, und er bekam Durst. Das lange Stehen ermüdete ihn, und seine unbequeme, schwere Rüstung steigerte seine Gereiztheit. Er wünschte sich, dass es endlich vorbei wäre, so oder so – er wünschte sich, dass etwas passieren würde, irgendetwas – und er hatte den Eindruck, dass die Spannung nahezu unerträglich wurde.
Schließlich rannte ein Mann aus der britannischen Linie mit hervorquellenden Augen vorwärts und fuchtelte schreiend mit einem glänzenden Schwert herum. Cunedda hatte keine Ahnung, wer er war oder warum er das tat, aber es reichte, um das Patt zu beenden. Im Nu wuchs der Lärm zu einem tosenden Gebrüll an, so laut, dass Cunedda kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte, und überall um ihn herum drängten kräftige Leiber nach vorn, wobei Schwerter gegen Speere klapperten. Cunedda zögerte, aber ein Stoß in den Rücken trieb ihn vorwärts, hinter den anderen her.
Die gesamte britannische Linie ging gleichzeitig zum Angriff über, ohne dass ein einziger Befehl gegeben worden wäre.
Cunedda wurde zur nächsten Anhöhe und der darauf stationierten römischen Kohorte mitgerissen. Aber die Römer wichen nicht zurück. Die Legionäre in der vordersten Reihe hatten ihre halb zylindrischen Schilde in den Boden gerammt und hielten sie fest, sodass sie einen Zaun bildeten, durch den Lanzen nach vorn ragten, Metallspitzen an hölzernen Schäften. Die Soldaten waren derart reglos, dass es Cunedda so vorkam, als werde er auf eine Steinmauer zugeschoben.
Und bevor er die Schilde erreichte, wurden zu einem dünnen Trompetensignal römische Wurfspeere erhoben und in die Luft geschleudert.
Unter einem von tausend Speeren geschwärzten Himmel kamen die vorrückenden Britannier zum Stehen. Die Männer an der Spitze taumelten zurück und erhoben ihre Schilde, aber die von hinten Heranstürmenden rannten in ihre Vordermänner hinein, und die Schar der Krieger ballte sich zu einem zappelnden Haufen. Cunedda sah sich auf einmal in einer zusammengedrängten Masse gefangen; er war so fest eingekeilt, dass er kaum Luft bekam und seine Füße vom Boden gelüpft wurden. Die Plötzlichkeit der Geschehnisse nach den Stunden des Stillstands überwältigte ihn.
Dann sausten die ersten Speere herab. Keinen Schritt von Cunedda entfernt wurde ein Mann in den Boden genagelt, wo er kreischend um sich schlug; eine schaumige, rosafarbene Flüssigkeit quoll aus seinem aufgespreizten
Brustkorb. Weitere Speere kamen hernieder, durchbohrten Köpfe, Gliedmaßen und Rümpfe. Unter die Schlachtrufe mischten sich jetzt Schmerzensschreie, und der Zorn und die Enttäuschung der Masse verwandelten sich in Panik. Aber sie konnten nirgendwohin, es gab keine Fluchtmöglichkeit, nicht einmal einen Weg nach vorn. Und immer noch fielen die Speere.
Mit einer gewaltigen Anstrengung gelang es Cunedda, seinen Schild über den Kopf zu
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