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Imperator

Imperator

Titel: Imperator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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wollte sie nicht aufwachen, nicht für einen weiteren trostlosen Tag im besiegten Camulodunum.
    Das Haus war leer, bis auf sie und Cunedda, dessen Angehörige vor den vorrückenden Römern nach Norden geflohen waren. Aber Cunedda war da; er kniete neben ihr. Agrippina hob die Hand und strich ihm übers Gesicht. Er ließ sich gerade einen Bart wachsen. Jetzt, wo die Römer so nahe waren, wagte er es nicht, sich Moden aus dem Mittelmeerraum wie dem Rasieren hinzugeben; im Verdruss über ihre Niederlage gingen die Catuvellaunen nun aufeinander los. Der dünne, struppige Bart stand ihm eigentlich überhaupt
nicht, aber es gefiel ihr, wie er seinen Geruch bewahrte.
    Ihre Liebe hatte sich nicht mehr von jenem schrecklichen Augenblick am Strand erholt. Aber es gab Zärtlichkeit und Trost.
    »Komm wieder ins Bett«, sagte sie, immer noch schläfrig.
    »Wir können nicht unser ganzes Leben im Bett verbringen, Pina. Außerdem hat Nectovelin etwas, was du dir ansehen musst.« Seine Augen funkelten vor Unternehmungslust. Selbst nach dem schrecklichen Schock der verlorenen Schlacht interessierte er sich viel zu sehr für die Welt, als dass er sich einfach hingelegt hätte und gestorben wäre.
    Wenn das so war, weshalb konnte sie dann nicht genauso empfinden? Die Bitterkeit brannte in ihr wie eine frisch geschmiedete Klinge. Ein Römer, ein Mann mit einem römischen Namen, Marcus Allius, hatte in einem Augenblick achtloser Überheblichkeit ihren kleinen Bruder getötet. Aber die Römer waren einfach zu mächtig. Es war, als sei Mandubracius vom Blitz getroffen worden; welchen Zweck hätte es, das Schwert gegen eine Gewitterwolke zu erheben? Welchen Zweck hatte es, auch nur zornig zu sein?
    Sie hatte die Hoffnung verloren. Aber dennoch schlug ihr Herz, und ihre Lungen füllten sich mit Luft. Sie lebte noch. Und der liebe Cunedda war bei ihr.
    Sie seufzte, rollte sich steif herum und setzte sich auf. »Lass mir einen Moment Zeit.«
    Er musterte sie schelmisch. »Brauchst du Hilfe?«

    Sie schnaubte. »Nein, außer du willst mir den Nachttopf halten.«
    Sie durchwühlte ihre Kleidung, bis sie einen weiten Leibrock fand, der nicht gar zu übel roch. Ihre Toilette bestand darin, dass sie sich mit den Fingern durch die schmutzigen Haare fuhr und mit einer Hand übers Gesicht wischte. Sie roch ihren Atem und merkte, wie sehr er stank. Sie sollte sich wirklich ein Stück Weidenrinde suchen, um ihre Zähne zu reinigen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie aussah, und es war ihr auch egal. Nach der Schlacht hatte sie all ihre Spiegel zerschlagen und die Stücke in den Fluss geworfen. Dies war nicht die Zeit für Spiegel oder andere römische Moden.
    Sie trat ins Freie hinaus. Es war kurz vor Mittag, nach dem Sonnenstand zu urteilen. Der Sommer war drückend heiß gewesen, und obwohl der Herbst bald kommen würde, wollte die lastende Hitze einfach nicht weichen.
    Sie ging mit Cunedda durch Camulodunum. In der Stadt herrschte reges Leben. Leute waren unterwegs, Karren rollten durch die Straßen, Kinder und Tiere liefen herum wie immer, und Rauchkringel stiegen von den Essen der Schmiede empor. Auch auf dem Markt herrschte großes Gedränge; Waren und Dienstleistungen wurden zum Tausch feilgeboten, ein junges Schwein gegen eine neue Sichelklinge, ein Korb Beeren gegen eine gefärbte Wolldecke. Dieses muntere Treiben hatte nichts mit den Römern zu tun, sondern mit den Jahreszeiten. Camulodunum war eine Bauernstadt, und ungeachtet der großen Ereignisse der Menschenwelt
folgten die Sonne und der Mond ihren geduldigen Zyklen durch den Himmel, und bald würde es Zeit sein, die Ernte einzubringen.
    Und doch war es nicht mehr so wie früher. Die Leute gingen freudlos ihrer Arbeit nach. Nur wenige wagten es, Waffen zu tragen; Cunedda tat es nicht. Die Schlacht hatte die Bevölkerung gelichtet. Es gab weniger junge Männer als zu Beginn des Sommers. Und es gab Verwundete, Menschen, denen Gliedmaßen fehlten  – selbst unter den Frauen –, und ein paar Hilflose, die überhaupt nicht mehr arbeiten konnten, lagen im Schatten und hatten hölzerne Schüsseln oder Schalen vor sich stehen. Aber niemand verhungerte in Camulodunum; wenn die Familie einen nicht mehr unterstützen konnte, tat es die Gemeinschaft.
    So war es seit der Niederlage am Fluss; diese Katastrophe lag nun bereits vierzig Tage zurück. Es waren lange Tage der Angst und des Wartens auf den Todesstoß gewesen, während die feuchte Hitze wie eine Kuppel über der Landschaft lag.
    Und die

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