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Imperator

Imperator

Titel: Imperator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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Agrippina hörte nur leisere Stimmen, das Klappern von Würfeln, Gelächter, das Klirren von Geschirr. Die in der Scheune stationierten Wachen vertrieben sich die Zeit.
    Am Nachmittag gab es dann größere Unruhe, rennende Menschen und das Unheil verkündende Schaben, mit dem Stichschwerter aus Scheiden gezogen wurden. Agrippina hörte Soldaten schreien und identifizierte lateinische Wörter: »Der Kaiser! Er kommt!«
    Endlich hatte Claudius seine Prozession von Rom bis hierher nach Camulodunum beendet. Agrippina hörte Marschschritte und Jubelrufe – und dann dröhnende Schritte, als käme ein Riese in die Stadt, dazu Laute des Erschreckens und Gemurmel auf Catuvellaunisch. Sie hatte keine Ahnung, was das sein mochte, aber sie dachte beklommen an die Prophezeiung und deren seltsame Worte über »haushohe Pferde«.
    Dann vernahm sie halbherziges Gebrüll und schnelle Schritte. Das musste der »Widerstand« sein, ein paar Dutzend Britannier, die man zusammengetrieben und gezwungen hatte, Aufständische zu spielen. Agrippina
hörte Schwerter auf Schilde klatschen, dann dumpfe Laute, vielleicht einschlagende Wurfspeere – und Unheil verheißende Schmerzensschreie. Weshalb sollte der römische Kommandeur sein Versprechen halten, dass nur wenige Britannier bei diesem schändlichen Spiel verletzt würden? Sie stellte sich Braint dort draußen vor, zornig, trotzig, vielleicht bis zur Taille entkleidet, wie es diese mit einer Toga bekleidete griechische Schlange befohlen hatte. Braint zumindest würde den Römern nichts schuldig bleiben.
    Nachdem der »Widerstand« besiegt war, hörte man eine Zeit lang Räderrasseln, Marschschritte, Reden und planmäßigen Jubel. Dies musste der eigentliche Einzug des Kaisers in die Hauptstadt sein. Einige der triumphalen Ankündigungen wurden in catuvellaunischer Sprache vorgenommen; die Römer, methodisch wie immer, sorgten dafür, dass die Einheimischen genau wussten, was hier geschah, weshalb die Römer gekommen waren und was die Zukunft für die Bevölkerung Camulodunums bereithielt.
    Darauf folgten weitere Aktivitäten in der Scheune. Sie hörte dröhnendes Gelächter, das Klappern von Tellern, das Geräusch, mit dem Wein in Kelche gegossen wurde, und eilige Schritte, offenbar Sklaven, die das Essen und die Getränke auftrugen. Wie es schien, aßen der Kaiser und sein Gefolge gerade zu Abend. Die Gerüche zubereiteter Speisen drangen in die Grube hinab, und Nectovelins Warnung gemäß spürte Agrippina, wie ihr leerer Magen mit einem Knurren darauf reagierte.

    Nectovelin drückte ihr ein Stück getrocknetes Fleisch in die Hand. »Was sagen sie?«, flüsterte er.
    Agrippina versuchte, dem Gespräch zu folgen. Sie hatte ihr Latein in Gallien gelernt, das selbst eine rückständige Provinz war; der Kaiser und sein Gefolge waren kultivierte Römer mit entsprechend komplexer Ausdrucksweise. »Schwer zu sagen«, gab sie zu. »Die Invasion. Gallien und Britannien. Aber das ist nur die Oberfläche. Die Römer geben sich gern geistreich. Sie mögen Wortspiele …«
    Nectovelin schnaubte. »Ein Mann sollte sagen, was er denkt.«
    »Das ist nicht die römische Art.«
    »Dann bin ich froh, dass ich kein Römer bin.«
    Der Lautstärke der Gespräche ließ allmählich nach. Liegen scharrten über den Boden, betrunkene Abschiedsworte wurden gewechselt. Offenbar war das Abendessen vorbei.
    Endlich identifizierte Agrippina die Stimme des Kaisers. Sie klang dünn, und hin und wieder geriet er ins Stottern. Die kurzen und knappen Antworten kamen vermutlich von Sklaven, aber auch von einer kultivierteren Stimme mit starkem Akzent – vielleicht der Grieche mit der Toga, der gestern so arrogant durch Camulodunum spaziert war.
    Schließlich schickte der Kaiser alle hinaus.
    Nectovelin lauschte. Jetzt waren überhaupt keine Stimmen mehr zu vernehmen, auch keine Schritte, sondern nur ein leises Kratzen, vielleicht eine Feder auf Pergament, ein Griffel auf einer Wachstafel. Nectovelin
flüsterte: »Das ist unsere Gelegenheit. Wir müssen schnell sein.«
    Agrippinas Herz klopfte, und sie umklammerte den Griff ihres Dolches.
    »Ich zähle bis drei«, zischte Nectovelin. »Eins, zwei, drei …«

XX
    Agrippina rollte sich herum, zog die Beine unter den Körper und stieß sich zusammen mit den anderen nach oben. Die Bretter, die ihr zeitweiliges Grab abdeckten, zersplitterten und gaben nach, und Erdreich rieselte um Agrippina herab. Dann merkte sie, wie ihre Schultern gegen eine dichte Teppichmasse

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