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Imperator

Imperator

Titel: Imperator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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attraktiv gewesen wäre, wenn man es gesäubert hätte, einen dunklen, trotzig dreinschauenden Jungen mit struppigem Bart – und eine stämmige Bäuerin von vielleicht vierzig Jahren, deren Wange eine Narbe zierte, vielleicht von einer Klinge. »Die da, zum Beispiel. Du. Wie heißt du?«
    Allius übersetzte hastig. »Braint«, antwortete die Frau.
    Narcissus schreckte vor der unverhüllten Feindseligkeit ihrer Miene zurück, wich jedoch nicht von der Stelle. »Sie sieht mir wild genug aus. Dekurio, erkläre ihr, was wir von ihr wollen. Und besorge noch ein paar, ja?« Er musterte die Frau von oben bis unten. »Ach, und sage ihr, sie soll während des Kampfes die Brüste entblößen. Das ergibt eine hübsche Nebensächlichkeit für die Chronisten.«
    Er entfernte sich von der Frau. Aber bei jedem Schritt kribbelte es ihn zwischen den Schulterblättern, als wäre Braints Blick ein dort hineingestoßener Dolch.

XVIII
    Während jedermann die durch Camulodunum stolzierenden Römer beobachtete, untersuchte Agrippina, hinter Braints breitem Rücken von fremden Blicken geschützt, die lederne Dokumentenmappe.
    Nachdem sie ein Leben lang fest an Nectovelins Brust gelegen hatte, war sie abgewetzt und ramponiert und stank nach seinem Schweiß und Blut.
    Das sorgsam gefaltete Dokument darin war nur ein einzelnes, vom Alter vergilbtes Blatt billig aussehenden Pergaments mit einem gebrochenen Siegel darauf. Und es waren nur sechzehn lateinische Zeilen, zählte sie rasch, waren in ordentlicher Handschrift niedergeschrieben worden. Konnte dies wirklich die Handschrift ihres Großvaters Cunovic sein, war dies sein Siegel?
    Fieberhaft las sie die ersten Zeilen:
     
    Ach Kind! Verwoben in den Wandteppich der Zeit, und dennoch frei geboren
    Cum fortia sing ich dir von dem, was ist und was sein wird, und
    Obendrein von allen Menschen, Göttern, und von drei mächt’gen Kaisern.

    Nebst einem Mann, germanisch ist sein Name und seine Augen sind aus Glas,
    Schreiten einher haushohe Pferde mit säbelgleichen Zähnen …
     
    Wenn dies die Worte eines Gottes waren, so war es ein literarisch gebildeter Gott. Die Formulierungen waren elegant, die Metrik zumindest zweckdienlich. Sie fragte sich, ob der Text mehr Informationen enthielt, als man auf den ersten Blick sah; die Römer waren berühmt für ihre Freude an Wortspielen – Verdichtungen, Akrostichen.
    Aber die Zeilen waren kurz und knapp. Nach der Anrede und der Erwähnung der »drei mächt’gen Kaiser« folgte ein Hinweis auf einen Kaiser mit germanischem Namen, der jedoch rätselhafterweise »Augen aus Glas« besaß. Die andere konkrete Angabe über ein fremdartiges Tier verwirrte sie nur noch mehr. Konnten diese dunklen Andeutungen etwas mit der Invasion zu tun haben? Was hatte eine Prophezeiung eigentlich für einen Zweck, wenn sie sich nicht auf eine derartige Katastrophe bezog? Aber wenn es so war, was bedeutete das alles?
    Rasch überflog sie den restlichen Text. In den weiteren Zeilen war vage von einer »steingewordnen Schlinge«  – irgendein gewaltiges Bauvorhaben? – und der Ausrufung eines Kaisers in Brigantien die Rede. Wie sollte so etwas möglich sein? Bei den letzten paar Zeilen schien es sich um reine Poesie zu handeln, vielleicht aus einer ganz anderen Sprache übersetztes, unbeholfenes
Zeug über Freiheit und Glück: unanfechtbar, aber ohne großen Nutzen. Dies war jedoch eindeutig die Passage, die Nectovelins Herz berührt hatte …
    »Sie haben sich Braint geschnappt.« Cunedda stand angespannt neben ihr, seine rechte Hand suchte ein Schwert, das er nicht mehr trug.
    Hastig steckte Agrippina das Dokument wieder in ihren Leibrock und hoffte, dass Cunedda nichts davon bemerkt hatte. »Was ist passiert?«
    »Sie scheinen Krieger zu rekrutieren. Irgendeine Vorführung für den Kaiser. Müssen sie uns demütigen? Und ich glaube, sie haben über Cunobelins Haus gesprochen.« Er zeigte hin. »Der Kaiser soll seine erste Nacht hier in der Scheune verbringen.«
    Agrippina verstand. Natürlich würde ein Römer einen quadratischen Grundriss suchen und die hiesigen Rundhäuser als barbarisch ablehnen.
    Es fiel ihr schwer, sich auf einfache reale Vorgänge zu konzentrieren, während die Prophezeiung, die Zukunft selbst, in ihrer Hand brannte. Sie hätte gern Zeit gehabt, um über sie nachzudenken und ihre Rätsel zu entschlüsseln.
    »Stell dir das nur mal vor«, sagte Cunedda, »der Kaiser persönlich, das Oberhaupt des Imperiums, wird hier wohnen, nur ein paar

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